Der Fluch der Hebamme
Rest nun in Antiochia beigesetzt. Wenigstens die Gebeine des Kaisers würden sie mit nach Jerusalem nehmen. Das allein war schon Grund genug, sich dorthin durchzukämpfen.
Nun war Thomas mehr oder weniger freiwillig zu seinem Krankenlager zurückgekehrt. Roland hatte irgendwo einen Krug Wein aufgetrieben und vermutlich dafür sein letztes Geld ausgegeben.
»Auf die unsterbliche Seele Friedrichs von Staufen!«
Mit brüchiger Stimme wiederholte Thomas den Trinkspruch, und in winzigen Schlucken tranken sie von dem Wein, als könnten sie das Endgültige noch hinausschieben, bis die Becher leer waren.
»Was wird nun werden?«, fragte Thomas, und es war eher ein Stoßseufzer als eine Frage.
»Graf Dietrich sagt, der Papst habe zugestimmt, König Heinrich zum Kaiser zu krönen. Doch die welfentreuen Fürsten haben sich längst gegen den König verbündet. Also wird es Krieg geben. Und da Heinrich nicht die Größe und Ausstrahlungskraft seines Vaters hat, dafür aber einer der rachsüchtigsten Menschen ist, die mir je unter die Augen gekommen sind …«
Roland sprach den Satz nicht zu Ende. Stattdessen sagte er: »Und der Traum meines Vaters und vieler anderer – Friedrich als König von Jerusalem – ist nun auch begraben.«
»Wer ist jetzt König von Jerusalem? Doch nicht mehr Guido?«, fragte Thomas, verstummte aber sofort, als er hörte, wie jemand die Treppe heraufkam.
Zu seiner Überraschung war es Graf Dietrich. Beide Ritter wollten aufstehen und vor ihm niederknien, doch Dietrich erließ ihnen das mit einer Geste.
»Vergessen wir heute die Formalitäten, noch dazu im Krankensaal«, erklärte er.
Dann sah er zu seinen beiden jungen Rittern und griff ungefragt Thomas’ Worte auf.
»Guido von Lusignan betrachtet sich immer noch als König von Jerusalem, auch wenn er mit seiner Gefangennahme durch Saladin den Titel verlor. Sein Königtum verdankt er ohnehin weder seiner Herkunft noch seinem Heldenmut, sondern lediglich dem Umstand, dass seine Gemahlin Sibylle die Schwester des früheren Königs Balduin ist. Der übrigens ausdrücklich verfügt hatte, nach seinem Tod sollte Guido
niemals
König werden. Er wusste um dessen Unfähigkeit. Und tatsächlich hat Guido Jerusalem und die Kreuzfahrerstaaten in das größte Unheil seit dem Fall von Edessa geführt. Nicht nur wir trauern um einen großen Herrscher. Seit dem Tod Balduins trauern in Outremer immer noch viele Menschen um ihren weisen und tapferen, jungen König und sehen sich durch Guido verraten. Balduin wollte Frieden mit Saladin, Saladin wollte das ebenso. Aber die Kriegstreiber setzten sich durch. Kommt mit!«
Er trat zur Brüstung, von der aus sie auf den Innenhof des palastartigen Gebäudes sehen konnten, und wartete, bis die beiden Ritter ihm gefolgt waren.
»Gleich wird Markgraf Konrad von Montferrat eintreffen, der eigens von Tyros kommt, um seinen staufischen Verwandten zu begrüßen. Da Friedrich nun tot ist, sollte Konrad König von Jerusalem werden.«
Neugierig darauf, den Mann zu sehen, der es als Einziger geschafft hatte, eine Stadt gegen Saladin zu verteidigen, traten die beiden jungen Männer an das ornamentreiche Geländer. Der Hof war mit verschiedenfarbigen Steinplatten gesäumt, hatte einen Brunnen, aus dem das Wasser sprudelte, an den Wänden prangten farbige Muster. Leuchtende Blüten hingen von den Mauern und Dächern. Eine fremde, unfassbar schöne Welt.
Schon aus der Entfernung konnten sie die Reiterkolonne Konrads am weißen Banner mit dem roten oberen Balken erkennen.
Der Markgraf von Montferrat sei auf Reisen gewesen, als Jerusalem und viele weitere Städte in Saladins Hand fielen, berichtete Dietrich. Ohne von den Geschehnissen zu wissen, wollte er in Akkon an Land gehen, doch etwas ließ ihn misstrauisch werden und sofort wieder Anker lichten. Er segelte nach Tyros, riegelte den Hafen ab, befestigte die Stadt gegen die Eroberer und hielt sie, allen Drohungen und Angriffen zum Trotz. Als wenig später Guido von Lusignan vor Tyros landete und Konrads Huldigung erwartete, weigerte sich dieser und verwehrte ihm den Zutritt zur Stadt.
»Also beschloss Guido: Wenn er König sein will, braucht er dazu eine Stadt, und schickte seine Männer ausgerechnet nach Akkon«, fuhr Dietrich fort. »Das ist der wichtigste Hafen in Outremer, aber so gut wie uneinnehmbar. Manche nennen sein Vorhaben tollkühn, doch es ist Wahnwitz. Ihr werdet es begreifen, wenn wir dort sind und die Mauern sehen. Saladin wird das sehr gefallen
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