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Der Fluch der Hebamme

Titel: Der Fluch der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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Gepflogenheiten des Landes aufmerksam machen will.«
    So hatte ihm Roland die Lage auf den Straßen Antiochias bei seinem ersten Krankenbesuch beschrieben. Er selbst war vergleichsweise rasch wieder zu Kräften gekommen und berichtete von den Neuigkeiten, die sich seit ihrer Ankunft zugetragen hatten, während er Thomas eine hölzerne Schale mit einer fremdartigen Süßspeise hinüberschob, die er mitgebracht hatte.
    »Das Heer wird mit jedem Tag kleiner, obwohl niemand wirklich mehr einen Überblick hat, wie viele wir noch sind. Nachdem die Leute das wunderbare Leben hier mit all seinen Köstlichkeiten, mit Essen und Trinken im Überfluss und schönen Frauen erleben, haben die meisten keine Lust mehr, in den Krieg zu ziehen. Und die bleiben, denen gehen Zucht und Ordnung verloren, wenn sie nicht gerade einen Dienstherrn haben, der auf ihr Benehmen achtet. Sie saufen, sie stehlen – es ist eine Schande! Wenn ich nicht ein Auge auf Rupert hätte, würde der sich nur noch mit solchen Leuten schlagen. Aber zu deiner Beruhigung: Ich denke, genau dieses Pack, das sich so aufführt, wird heute oder morgen mit dem nächsten Schiff nach Hause segeln. Um die ist es nicht schade.«
    Auffordernd hielt er dem kranken Freund die hölzerne Schale unter die Nase, in der ein paar zusammengeklebte, hellbraune Schichten in Stücke geschnitten waren.
    Vorsichtig kostete Thomas davon und war sofort hingerissen. So süß … und schmackhaft. Viel besser als Honig!
    »Gib mir dein Schwert!«, forderte er Roland auf, der sofort begriff und ihm die Waffe reichte.
    Vorsichtig umklammerte Thomas den Griff mit der Linken. Schon das schmerzte, noch mehr, die Waffe anzuheben.
    »Vielleicht sollte ich erst einmal mit dem Dolch beginnen«, meinte er mutlos.
    »Vielleicht solltest du erst einmal der Wunde Zeit lassen, richtig abzuheilen«, berichtigte ihn Roland, und sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. »Wir bleiben ohnehin hier, bis alle wieder einigermaßen bei Kräften sind. Sogar den Herzog von Schwaben hat das Sumpffieber niedergestreckt.«
    Als Thomas bestürzt aufsah, ergänzte er rasch: »Aber es geht ihm wieder gut, keine Sorge!«
     
    Regelmäßig kam der Heilkundige zu Thomas, rieb streng riechende Salben auf seine Wunde und gab ihm verschiedene Elixiere zu trinken.
    Marthes Sohn ließ das alles widerspruchslos und – je besser es ihm ging – mit zunehmender Neugier über sich ergehen. Zu seinem Bedauern kannte er die Sprache des Heilers nicht und auch nicht die der Diener, die ihm regelmäßig zu trinken und zu essen brachten, vor allem viel frisches Obst. Das hier hätte seine Mutter sicher sehr interessiert.
    Die Wunde heilte nur langsam. Während die meisten anderen Kranken von Stand nach und nach geheilt gehen konnten, bekam Thomas immer wieder Fieberschübe. Er vermochte sich nicht vorzustellen, dass er mit der Linken noch einmal ein Schwert führen konnte. Nach dem niederschmetternden Misserfolg mit Rolands Waffe hatte er ein paar Mal versucht, wenigstens einen Becher mit der linken Hand zu halten, und jeden dieser Versuche mit erneut aufflammenden Schmerzen bezahlt.
    An einem Morgen jedoch war er aufgestanden, und niemand hätte ihn daran hindern können, nicht einmal das Fieber. Gemeinsam mit Dietrich, Roland und den anderen hatte er in der erzbischöflichen Kathedrale Friedrich von Staufen die letzte Ehre erwiesen. Es war eine überaus festliche Zeremonie, auch wenn sie in aller Hast stattfinden musste, weil der Leichnam zu schnell verweste.
    Beim Blick auf den weißen Marmorsarkophag erstand Thomas wieder das Bild des Kaisers vor Augen: wie er ihn in aller Pracht und Größe in Pressburg so nah vor sich sah, wie Friedrich seine Männer nach dem Verrat des byzantinischen Kaisers entfesselt hatte, wie er – den Tod vor Augen – noch den letztlich siegreichen Angriff auf Ikonium angeführt hatte …
    Umso quälender war für Thomas die Erinnerung, was nach seinem Tod im Fluss mit dem Leichnam geschehen war, auch wenn dies den Bräuchen angesichts solcher Umstände entsprach. Den toten Friedrich in ein Essigfass zu stecken, damit er nicht verweste, bevor sie sein Fleisch an einer angemessenen Stätte beisetzen konnten! Wie sollte das zu der Würde passen, die dieser Herrscher verkörpert hatte?
    Und als auch der Essig die Verwesung in der Hitze nicht länger aufhalten konnte und der Gestank unerträglich wurde, musste das Fleisch von den Knochen gekocht werden. Die Innereien wurden unterwegs in Tarsus und der

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