Der Fluch der Hebamme
spuckt nicht so bald wieder große Töne«, meinte einer der Zuschauer grinsend, ein älterer Ritter von Dietrichs Leibwache.
»Erst einmal spuckt er Blut«, witzelte ein anderer und erntete dafür Gelächter.
»Steh auf!«, schnauzte Thomas seinen Knappen an.
Der wischte sich mit dem Ärmel das rote Rinnsal vom Kinn, das ihm über die aufgeplatzte Lippe lief, und stemmte sich hoch, den Kopf stur zu Boden gesenkt wie ein Stier vor dem Angriff.
»Siehst du ein, was du alles noch lernen musst? Jeder Angreifer hätte dich zehn Mal töten können, in kürzerer Zeit, als du brauchst, um ein Ave-Maria aufzusagen!«
»Ja, Herr«, murmelte Rupert.
»Üben werden wir das morgen. Jetzt geh und kümmere dich um das Zaumzeug, wie ich es befohlen habe!«
»Ja, Herr«, wiederholte der Knappe und lief davon, hochrot im Gesicht vor Scham und Wut zugleich.
»Das hättet du schon gestern machen sollen«, meinte Roland vorwurfsvoll, nachdem sich die Zuschauerrunde unter belustigten Rufen verlaufen hatte.
»Ja, das hätte ich wohl«, räumte Thomas ein und ging mit dem Freund, um irgendwo einen Becher Bier in dieser Hitze aufzutreiben.
Solche und andere Zwischenfälle waren es, die Thomas immer wieder zu Zweifeln und Grübeleien trieben.
Nach außen hin machte das Heer den Eindruck einer disziplinierten, hervorragend ausgebildeten und eingeschworenen Gemeinschaft.
Doch Thomas betrachtete sie nicht mit der ungebrochenen Begeisterung, mit der zum Beispiel Roland sie sah – obwohl der ja noch in Meißen gelacht hatte über die einfältige Vorstellung, in einer solch großen Truppe könnte es keine Streitereien darüber geben, wer bedeutender sei und wer wohl die meisten Ungläubigen erschlagen würde, wenn sie erst das Heilige Land erreichten …
Vielleicht lag es daran, dass sich Roland schon ein Jahr lang an das Leben als Ritter gewöhnen konnte, weshalb er sich so vollkommen zugehörig zu den anderen fühlte. Oder daran, dass sein Leben viel geradliniger verlaufen war als das seines Freundes.
Thomas hingegen war misstrauisch geworden – durch die Dinge, die seinen Eltern widerfahren waren, und nun noch mehr durch den Zwischenfall mit dem Bischof. Auch wenn er sonst mit Roland jedes Geheimnis geteilt hatte, irgendetwas hielt ihn davon ab, mit ihm darüber zu sprechen, was während der Beichte geschehen war. Womöglich würde er es nicht verstehen.
Aber an der Frömmigkeit von Elisabeth hegte auch niemand Zweifel, während Thomas nun wusste, dass immer noch jemand seine Mutter auf den Scheiterhaufen bringen wollte.
Da waren dann noch das hochfahrende Getue des Auenweilers und einiger seiner Freunde, die ihm wohl dessen Niederlage am Tag der Schwertleite nicht verzeihen konnten, der Ärger mit seinem Knappen und die leicht durchschaubaren Fragen eines Mannes aus Martins Leibwache, der sich sehr um seine Freundschaft bemühte und ihn ganz sicher für den Bischof aushorchen sollte.
Doch abgesehen von kleineren Reibereien und Spötteleien, schienen zumindest die Weißenfelser eine zuverlässige Gemeinschaft. Die meisten von ihnen hatten aus Treue zu Dietrich ebenfalls das Kreuz genommen. Nur zwei gaben ganz offen zu, dass sie mit dieser Wallfahrt Aufschub bei den Gläubigern erwirken wollten und auf reichlich Beute hofften, um nach ihrer Rückkehr alle Schulden bezahlen zu können. Ein Dritter hatte sich ihnen angeschlossen zur Buße dafür, dass er betrunken seine Frau niedergeritten hatte. Nun war er hin- und hergerissen zwischen Trauer, Selbstvorwürfen und der Hoffnung auf Vergebung.
Unter den Männern waren solche, die nur wenig Worte machten, andere, die ständig mit ihren Liebesabenteuern oder Turniersiegen prahlten, und solche, die sich abends am Feuer den Kopf darüber zerbrachen, ob es Frau und Kindern gutging und wie wohl dieses Jahr die Ernte ausfallen würde.
Doch sie alle betrachteten es als ihre ritterliche Pflicht, Jerusalem zurückzuerobern.
Auch Thomas fragte sich oft, wie es seiner Familie und seinen Freunden wohl erging. Mit Roland sprach er nie darüber. Wozu auch? Sie konnten hier nur raten und sich den Kopf zermartern, was inzwischen alles zu Hause passiert sein mochte. Mehr als ihre Nächsten in die Gebete einzuschließen, blieb ihnen nicht zu tun. Außerdem wollte er auch nicht darüber reden, dass seine Schwester jetzt bestimmt Reinhards Frau war. Und Roland wollte das ganz sicher noch weniger.
Nur einmal ließ der Freund erkennen, dass ihn der Gedanke an Clara immer noch
Weitere Kostenlose Bücher