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Der Fluch der Makaá

Der Fluch der Makaá

Titel: Der Fluch der Makaá Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Talbiersky
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gewissen Grad selbst zu Makaá geworden waren und dass wir immer mehr in ihre fremden, unheimlichen Riten einbezogen wurden.
    Gegen Mittag erreichten wir eine Art Lichtung. Der Roraima war in eine Nähe gerückt, aus der die schroffen Felsen den Himmel beinahe gänzlich verdeckten. Auf unserem Weg hatten wir zwei Tage zuvor einmal eine stärkere Steigung überwinden müssen, seither waren wir auf hartem Boden unterwegs gewesen, der platt und topfeben war, sodass wir keine Schwierigkeiten hatten, gut vorwärts zu kommen. Dies sollte sich von nun an ändern.
    „Wir befinden uns am Fuße des Tafelbergs“, erklärte Mateo. „Ab hier wird der Weg beschwerlicher.“
    „Der Sitz der Götter“, wisperte Robert.
    „Ganz genau“, bestätigte Mateo. „So werden die Tafelberge genannt.“
    „Wieso eigentlich?“, fragte Oliver und ließ sich fußlahm auf den Boden plumpsen.
    „Weil sie für die Menschen früher unzugänglich waren. Es hat ewig gedauert, bis eine Aufstiegsmöglichkeit entdeckt wurde, und selbst dann wagte niemand die Berge zu besiedeln. Die Götter verboten den Indígenas die Berge in Besitz zu nehmen, weil es ihre eigene Wohnstätte war. Weshalb sonst hätten sie diese für die Menschen so unzugänglich machen sollen? Welche Götter verkehren auch schon gerne mit Normalsterblichen?“
    Oliver legte nachdenklich den Kopf schief und zupfte an einem langen Grashalm. „Also ich sehe das so“, sagte er schließlich bedächtig. „Wenn die Götter wirklich alleine dort oben sein wollten, dann hätten sie überhaupt keine Aufstiegsmöglichkeiten für die Menschen geschaffen. Da es aber welche gibt, kann es nur so sein, dass sie entweder ganz gerne mal Gesellschaft haben – oder dass sie gar nicht auf den Bergen wohnen.“
    „Warst du denn schon mal auf dem Plateau?“, fragte Robert.
    „Zweimal schon“, erklärte Mateo.
    „Und wie ist es dort oben?“, wollte ich wissen. Mateo stemmte die Arme in die Hüften und atmete tief durch, während er den Blick in die himmlischen Sphären gleiten ließ. „Es ist anders als alles, was ihr kennt. Dennoch gebe ich Oliver recht: Ich glaube auch nicht, dass die Berge die Wohnungen der Götter sind.“ Er zwinkerte uns zu. „Meiner Meinung nach sind es ihre Gärten.“
    Die nächsten zwei Stunden waren sehr anstrengend. Soeben waren wir noch über flaches Land gelaufen, nun aber wölbte sich die Erde und buckelte sich auf wie eine Katze. Vorsichtig passierten wir schroffe Steinwände und bahnten uns Wege durch das dichte Unterholz eines üppigen Dschungels, durch dessen grünes Herz sich ein schmaler Pfad höher und höher schraubte wie die Stufen einer endlosen Treppe. Obwohl wir alle damit beschäftigt waren, auf Wurzeln und andere Stolperfallen zu achten, erlaubten wir unseren Augen, sich an der unglaublichen Vielfalt von Pflanzen satt zu sehen: Der Weg war umsäumt von den herrlichsten Orchideen. Es gab sie in allen Varianten – mit prächtigen violetten Blüten, die so groß wie eine Männerhand waren, bis zu den mikroskopisch kleinen gelben, die einen betörenden Duft ausströmten. Dazwischen tummelten sich rote Blumen mit gezackten Blütenrändern, von denen Mateo sagte, es seien fleischfressende Pflanzen.
    Wir wanderten weiter, bis das Konzert der Brüllaffen einsetzte und den Abend einläutete. Mit gemischten Gefühlen schlugen wir unser Lager auf. Was würde uns diese Nacht bescheren? Einen neuen Streich der Makaá? Ein Ast krachte plötzlich hinter uns auf den Boden und ließ uns aus den Schlafsäcken hochschrecken – doch sonst blieb alles ruhig und wir schliefen die ganze Nacht durch, um in traumloser Stille neue Kräfte zu sammeln.

Tag 12 nach dem Absturz

    V iele beschwerliche Stunden dauerte der steile Aufstieg. Am späten Nachmittag hatten wir endlich das Hochplateau erreicht, den breiten, ausladenden Gipfel des Roraima Tepuy. Eingehüllt in zarte Nebelschwaden tief hängender Wolken setzten wir vorsichtig einen Fuß vor den anderen, so behutsam als würden wir über rohe Eier gehen. Der Tafelberg, so monströs und uralt wie er war, flößte uns tiefen Respekt ein. Und nun, als wir unsere Blicke schweifen ließen, verstanden wir plötzlich, weshalb der Tepuy der Sitz der Götter war: Mit jedem Meter, den wir bei unserem Aufstieg an Höhe gewonnen hatten, ließen wir das Irdische weit hinter uns. Ominöse Felsbrocken, wie von Riesenhand aufgeschichtet, schnitten uns schaurig-schöne Grimassen. Karges Gras wuchs diesen Steingesichtern in Büscheln

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