Der Fluch der Makaá
verschwommen erkennen. Die Strömung wirbelte mich umher als wäre ich ein Stück Treibholz. Wieder wollte mich ein Sog unter Wasser ziehen, doch diesmal kämpfte ich mit aller Gewalt dagegen an. Ich ruderte wild mit den Armen, stieß mich mit den Beinen ab und erblickte schließlich meine Rettung: Etwa zehn Meter von mir entfernt, ragte ein langer Ast in den Fluss und ich sah etwas Rotes aufblitzen. Wenn es mir nur gelang, mich daran festzuhalten… In weniger als zwei Sekunden trieb mich der Fluss an die rettende Stelle, zwei Sekunden, in denen ich meine letzten Kraftreserven mobilisierte, zwei Sekunden, in denen ich mit dem Fluss kämpfte, zwei Sekunden – in denen ich gewann. Mit beiden Armen packte ich den Ast und klammerte mich daran fest. Für einen Moment wurden wir beide von der Strömung weiter gerissen, für einen Augenblick dachte ich, der Ast würde brechen. Doch der Baum stemmte seine Wurzeln in die Erde und gab nichts her. Stück für Stück hangelte ich mich an dem Ast entlang. Unter einem Zweig mit Blättern schimmerte das kleine rote Etwas hindurch. Ohne darüber nachzudenken, griff ich danach und kroch ans Ufer, wo ich erschöpft liegen blieb.
„M el! Geht’s dir gut?“, hörte ich Stimmen über mir. Ich blinzelte. Gegen das Licht sah ich nur schemenhafte Schatten.
„Mel, jetzt sag doch endlich was!“
Allmählich nahmen die Schatten Konturen an und ich blickte in die besorgten Gesichter meiner Brüder und das von Mateo. Ich versuchte mich zu bewegen, doch es ging nicht. Irgendetwas blockierte meine Arme und Beine. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Als ich den Kopf hob, sah ich jedoch, dass ich lediglich in einem der Schlafsäcke steckte. Fest eingepackt bis obenhin.
„Mir ist kalt“, wisperte ich und bekam es kaum über die bibbernden Lippen. Die Sonne schien kräftig vom Himmel, es war früher Mittag – eigentlich hätte ich vor Hitze verglühen müssen!
„Es wird gleich besser werden“, versicherte Mateo, der direkt neben mir ein Feuer schürte. „Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt, Mel!“
Ich schloss die Augen und versuchte mich daran zu erinnern, was passiert war. Mein Kopf tat mir weh und die Augen brannten. Der Fluss… Ich lauschte. Fernab hörte ich das Schäumen und das Rauschen. Ich wollte mir mit der Hand über die Augen fahren, doch mein Arm klemmte im Schlafsack fest.
„Würde mich mal bitte jemand von euch aus diesem Ding befreien?“, bat ich.
„Du solltest da drinnen bleiben, du musst erst mal wieder warm werden“, erklärte Robert.
„Ich bleib ja drinnen, aber ein wenig Bewegungsfreiheit wäre nicht schlecht.“
Schließlich öffnete Robert den Reisverschluss ein Stückchen, doch er war sehr darauf bedacht, nicht den Hauch eines Windes an mich herankommen zu lassen, und dass ich auch ja schön warm eingepackt blieb.
„Du hattest großes Glück, dass du an dem Baum hängen geblieben bist. Es hätte echt übel ausgehen können“, sagte Mateo leise. Und dann fügte er noch leiser hinzu. „Mach das bitte nie wieder.“
„Bestimmt nicht!“, versprach ich und befreite meine Arme. Als ich die linke Hand aus dem Schlafsack zog, bemerkte ich einen kleinen roten Fetzen, den meine Finger fest umschlossen. Es war ein Stofffetzen, leuchtend rot – wie ein Stück von einem teuren Kleid, das an den Ästen hängen geblieben und zerrissen war. Wie eigenartig , dachte ich, und stopfte das Stoffstück in meine Hosentasche.
Wir machten den ganzen Tag über Rast auf der anderen Seite des Flussufers. Allmählich wich die Kälte aus meinem Körper, und ich fühlte mich wohler. Als die Nacht anbrach, leuchtete unser Lagerfeuer, das Mateo nicht ausgehen ließ und alle paar Stunden mit neuem Holz fütterte, hell und warm – wie ein treuer Freund, der in einer dunklen Nacht über uns wachte. Der Himmel war klar, hin und wieder blitzte ein Stern durch das Blätterdach über unseren Köpfen. Der Mond hatte sich zu Dreivierteln enthüllt und hing wie ein mahnendes Zeichen am Himmel. Gleich morgen würden wir weiterziehen – zum Roraima Tepuy, dem Sitz der Götter. In ein paar Tagen würden wir ihn bezwungen haben, und mit ihm den Weg der Makaá. Es wurde höchste Zeit.
Aber es war nicht mehr weit, ich konnte es fühlen… die Hallen waren ganz in unserer Nähe. Der Geist der Makaá schwebte schon um uns herum und verband sich schnörkelhaft mit dem Rauch des Feuers zu seltsamen fantasievollen Gebilden. Ich konnte es fühlen, und je länger ich in die
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