Der Fluch der Makaá
Flammen starrte, desto sicherer war ich. Die Makaá waren hier.
Mit einem Gefühl von vibrierender Ruhe, ganz ähnlich wie bei einem Meer, dessen Wellen sich ganz unauffällig am Ufer kräuseln und leise von der ungeheuren Kraft erzählen, die in den Weiten des Ozeans schlummert, schlief ich ein.
Es war dunkel, so dunkel, dass ich die Hand vor den Augen nicht sehen konnte. Aber ich brauchte keine Augen, um die Anwesenheit der anderen zu spüren. Wir waren zu neunt. Irgendwo vermutete ich meine Brüder und Mateo, doch die fünf anderen waren direkt in meiner Nähe. Wie elektrische Impulse auf der Haut spürte ich die Erwartung eines mir unbekannten Ereignisses. Niemand sprach ein Wort, und auch ich wagte nicht, einen Ton von mir zu geben. Es hätte den Ort und das Ereignis entweiht. Abwarten, abwarten, warten…
Das Licht kam von oben als wäre eine glutrote Sonne auf schwarzem Nachthimmel entfacht worden. Obwohl das Licht gedämpft war, mussten sich meine Augen erst daran gewöhnen. Die rote Sonne schickte einen einzigen schmalen Lichtstrahl auf einen mit niedrigen Steinen umrahmten Platz, der sich in der Mitte des Kreises befand, den wir alle gebildet hatten. Es war so dunkel, dass niemand das Gesicht des anderen erkennen konnte. Ein Mann trat in die Mitte. Sein Kopf war mit einem Tuch verhüllt. Er wurde untergehakt von zwei kräftigen Gestalten, ihr Köper war der eines Menschen, doch als Kopf trugen sie den skelettartigen Schädel des einäugigen Frosches.
Ich erkannte die beiden Wächter, sie waren mir bereits begegnet. Sie drückten den Mann auf einen Stuhl und rissen ihm den linken Hemdärmel auf. Sein Fleisch schimmerte bleich und weiß im roten Licht. Es war mucksmäuschenstill, und nur der, der auf dem Stuhl saß, atmete schwer unter dem Tuch. Dann erklangen die Trommeln, dumpfe Schläge auf gespannte Tierhäute über ausgehöhlten Baumstämmen. Rhythmisch und exakt. Minutenlang, ohne Pause, ohne Abwechslung im Takt, bis sich die anderen neben mir zu regen begannen und in eine Art Hypnose verfielen. Ich verharrte ruhig und regungslos in meiner Position. Das Trommeln schien mich nicht zu berühren. Es kam aus einer anderen Welt, in die ich hineinblicken konnte, zu der ich jedoch keinen Zugang hatte. Irgendwo gegenüber von mir, unweit von dem Mann auf dem Stuhl, sah ich schemenhaft eine weitere Person. Obwohl ich nicht wusste, wer sie war, war sie mir nicht fremd. Eigenartigerweise spürte ich ihre Angst. Eine Angst, die sie mit dem Mann, der verhüllt auf dem Stuhl saß teilte, und mir wurde klar, dass sie die nächste sein würde, die in der Mitte Platz nehmen sollte.
So plötzlich wie das Trommeln begonnen hatte, so rasch verstummte es wieder. Einer der Wächter trat mit einer langen Eisenstange in die Mitte. Er reckte sie hoch und tauchte sie ein in die glutrote Sonne, bis ihre Spitze sich dunkelrot färbte. Der andere Wächter hatte sich hinter dem sitzenden Mann aufgebaut. Nun griff er nach dessen Arm und umklammerte ihn fest wie ein Schraubstock. Ein nervöses Kribbeln durchfuhr alle Anwesenden. Gleich, gleich… Die glühende Eisenstange näherte sich dem bebenden Arm und berührte ihn an der Innenseite.
Es war der Schrei, der mich aus meiner Erstarrung löste. Ein Schrei, der mir durch Mark und Bein ging, und der von höllischen Schmerzen zeugte. Wie wild fuhr ich aus meinem Schlafsack. Das Feuer war bis zur Glut hinunter gebrannt und schwelte düster vor sich hin. Oliver und Robert stürzten mit entsetzt aufgerissenen Augen auf mich zu. „Ist schon gut“, stammelte ich, nachdem ich mich ein wenig gefasst hatte. „Ist schon gut, es war nur ein Traum.“
„Ein Traum?“, wimmerte Oliver. „Aber es war so wirklich!“
Verblüfft blickte ich ihn an. „Du – du hast es auch gesehen?“ Mateo blickte beunruhigt zu uns hinüber. „Ich glaube, Mel, das haben wir alle!“, sagte er leise.
Tag 11 nach dem Absturz
A m nächsten Morgen brachen wir in aller Frühe auf. Die Ereignisse der vergangenen Nacht spukten noch in unseren Köpfen, und obwohl sie uns verwirrten und ängstigten, wagten wir nicht darüber zu sprechen.
Ja, tief in uns spürten wir, dass das, wovon wir Zeugen geworden waren, sei es Traum oder Wirklichkeit, etwas Heiliges, Wertvolles, gar Feierliches hatte, das nicht durch unzulängliche Worte entweiht werden durfte. So merkwürdig es scheinen mag, doch ich vermute, dass wir bei dem Versuch, die heiligen Hallen des vergessenen Indianerstammes zu finden, bis zu einem
Weitere Kostenlose Bücher