Der Fluch der Makaá
aufgeteilt, sodass Robert und ich sie gemeinsam tragen konnten. Oliver dagegen blieb verschont. Natürlich war es kein schweres Gepäck, das wir schulterten, doch wenn man müde ist und stundenlang zu seinem eigenen Gewicht noch ein zusätzliches mit sich herumschleppen muss, dann wird auch das kleinste Gramm zum schweren Brocken.
Das, was uns allerdings am meisten zusetzte, waren die kleinsten Geschöpfe: die Mücken. Kaum hatte sich der dumpfe Morgennebel gelichtet, kamen sie in Schwärmen herbei, zu Tausenden, wenn nicht gar Millionen. Immer wieder klatschten wir uns auf die Arme, Beine, ja sogar ins Gesicht, und beinahe jeder Schlag fand sein Ziel. Leider waren die Mücken, die zwischen unseren Fingern ihr jähes Ende fanden, nicht weniger erfolgreich gewesen. Schon bald schwollen ihre Stiche zu kleinen Beulen an, die entsetzlich juckten. Das ständige Summen um unsere Ohren ließ uns schier wahnsinnig werden, und wir verspürten nur noch einen Wunsch: aus der Sumpflandschaft herauszukommen.
„So ähnlich muss es auch am Orinoco sein“, murmelte Robert, und spuckte eine Mücke aus. „Wenn nicht noch schlimmer“, nickte ich.
Doch dies konnte und wollte sich im Moment keiner von uns vorstellen. Zur Abenddämmerung hin nahm die Mückenplage noch einmal zu, und erst als der Wald schattig und dunkel wurde, zogen sich die kleinen Blutsauger im Schein der ersten Sterne zurück. Im Laufe des Nachmittags hatte sich der Boden unter unseren Füßen deutlich gebessert, und als es Zeit wurde, einen Platz für die Nacht zu finden, sackten wir nicht mehr ein: der Untergrund war trocken und fest.
Wir brauchten nicht lange suchen, da fanden wir einen Baum, der so verbogen und quer gewachsen war, dass er einen schmalen Tunnel bildete. Über die Eingänge hatten sich Lianen geschoben wie ein anheimelnder, hellgrüner Vorhang, und wir wussten sofort, dass wir keinen besseren Platz für eine Übernachtung im Freien hätten finden können.
Wir verkrochen uns in der „Höhle“, und lehnten uns zu dritt gegen den breiten, schrundigen Baumstamm. Eine Zeitlang saßen wir nur schweigend da und streckten die Beine von uns, in denen es kribbelte als wären wir in ein Ameisennest getreten. „Das ist nur das Blut“, beruhigte ich Oliver, der sogleich in seinen Hosenbeinen nach den Krabbeltierchen Ausschau hielt. „So viel Bewegung regt den Kreislauf an.“ „Na, dann…“, meinte Oliver zufrieden, „dann soll er halt kreisen.“
Im Zwielicht der Dämmerung lösten die nachtaktiven die tagaktiven Tiere ab. Richtig ruhig schien es im Urwald nie zu werden. Ständig brüllte, zischte, pfiff und schrie irgendetwas. In der wohltuenden Abendkühle erholten wir uns von unserer Erschöpfung und begannen, uns bei einer Tüte Kräcker leise miteinander zu unterhalten.
„Meinst du, wir haben morgen den Urwald durchquert?“, fragte Oliver mit vollem Mund. Sorgsam sammelte er die Krümel auf, die beim Verzehr des Kräckers auf sein T-Shirt gefallen waren, und streute diese genüsslich zurück in den Mund. Auf seine Frage wusste ich natürlich keine Antwort. Ich konnte nicht einmal schätzen, wie viele Kilometer wir an diesem Tag geschafft hatten, und deshalb nützte uns auch nicht der Blick in die Karte, die Robert auf seinem Schoß aufgeschlagen hatte.
„Was, meinst du, sollen wir tun, wenn wir hier raus sind?“, überlegte Robert. Ich war mir nicht ganz sicher, ob er die Frage mir oder eher sich selber stellte. Oliver dagegen fühlte sich sogleich angesprochen und rief: „Na, zur Polizei gehen, was sonst? Die werden Mama und Papa dann für uns finden.“ Die Jungs blickten mich erwartungsvoll an. Verlegen schaute ich zur Seite. „Etwa nicht?“, fragte Oliver verwundert und kniff die Augen zusammen. „Mit der Polizei ist das nicht so einfach“, versuchte ich zu erklären und erinnerte mich an die Überschrift in der Caracas’er Tageszeitung. „Juan und Rico, die beiden Typen vom Museum, haben mir Einiges über die Zustände der Behörden hier erzählt. Etliche Polizisten sollen korrupt sein, und ich habe selbst in einer Zeitung gelesen, dass einige mit der Mafia unter einer Decke stecken sollen. Und selbst wenn wir vertrauenswürdige Polizisten finden würden, bis die uns glauben, könnten unsere Eltern sonst wo sein! Unsere Geschichte hört sich schon sehr unwahrscheinlich an: Der Pilot springt aus dem Flugzeug, die Maschine stürzt ab, zwei Passagiere verschwinden spurlos, drei Kinder sind die einzigen Zeugen, und die
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