Der Fluch der Makaá
reicht trotzdem.
„Also“, holte ich tief Luft und klopfte meinen Brüdern leicht auf die Schultern. „Dann wollen wir mal die Ebene bezwingen. Auf geht’s!“
V ielleicht sollte ich vorwegnehmen, dass wir den Flugplatz, der sich später als ein verlassenes Rollfeld inmitten einer grünen Einöde herausstellen sollte, vergeblich suchten. Zwar hatten wir uns grob in östlicher Richtung bewegt, doch die vielen kleinen Umwege, verursacht durch Hindernisse wie Felsen und undurchdringliches Gestrüpp, brachten uns vom Kurs ab. So kam es, dass wir ein gutes Stück südlicher den Wald verließen als es ursprünglich geplant war. Dass sich dies als großes Glück erweisen sollte, das erfuhren wir erst einige Zeit später.
Es war früher Abend, ein anstrengender, nicht enden wollender Fußmarsch lag hinter uns, als wir schließlich Uruyén erreichten.
Uruyén ist die kleinste der drei Siedlungen des in Canaima ansässigen Stammes der Kamarakoto-Indianer. Das Dorf besteht aus etwa 15 Rundhütten. Selbst der, der nicht tagelang durch die Wildnis gestapft ist, kann einfach nicht anders, als diesen Ort schön zu finden.
Für meine Brüder und mich war es das Paradies: Eine Flut aus rotem Licht tauchte die Hütten in warme Farben und vermittelte uns müden Wanderern das Gefühl endlich am Ziel angekommen zu sein. Tatsächlich mussten wir uns ein paar Mal die Augen reiben, um zu begreifen, dass dieses Dorf keine Fatah Morgana war. Zu lange und intensiv hatten wir den Wunsch gehegt, in die Zivilisation zurückzukehren, sodass wir es jetzt, wo es Wirklichkeit geworden war, einfach nicht glauben konnten. Wir hatten es geschafft!
Wie zum Abschied erhob sich hinter unserem Rücken majestätisch das Steinmassiv des Auyán Tepuy. Hatte das dichte Blätterdach des Urwaldes ihn bislang von jeglichen Blicken abgeschirmt, so neigte sich die Ebene nun tief und ehrfürchtig zu seinen Füßen. Erhaben ließ Auyán Tepuy die Huldigungen zu und glänzte in königlichem Purpur, mit dem ihn die riesige dunkelrot untergehende Sonne schmückte.
Das war vielleicht ein Aufsehen, als sich drei erschöpfte und halb verhungerte Kinder in das Dorf schleppten! Die Nachricht verbreitete sich wie im Flug, und aus allen Hütten strömten die Menschen herbei, um uns zu sehen. Da meine Brüder und ich mit unseren Kräften wirklich am Ende waren, bekam ich kaum mit, wie ein paar starke Hände uns unter die Arme griffen und in eine der Hütten führten. Nachdem alles Essbare auf dem Tisch verputzt und mit kühlem Wasser hinuntergespült worden war, regten sich unsere Lebensgeister wieder, und wir fühlten uns kräftig genug, um mit einer Indianerin zum Flussufer zu laufen, wo wir uns waschen konnten. Als wir zum Dorf zurückkehrten, leuchtete uns die Indianerin mit einer Fackel den Weg, denn es war mittlerweile so dunkel, dass bereits die Sterne über uns funkelten. Nie habe ich einen reineren Nachthimmel gesehen als über den Ebenen der Gran Sabana, wo Erde und Himmel eine Einheit zu bilden schienen. Abertausend kleine Lichter zwinkern hier der Erde zu, und man musste sich einfach unbedeutend fühlen, angesichts der unermesslichen Größe und Schönheit des Universums. „Es ist fantastisch!“, rief ich begeistert und blieb stehen. Ich konnte gar nicht genug bekommen von dem herrlichen Anblick.
Die Indianerin, eine zierliche Frau um die Fünfzig, lächelte gutmütig und deutete mir an weiterzugehen. „Vamos, vamos…“, murmelte sie und geleitete uns zurück zum Dorf. Sie führte uns erneut in die Rundhütte, in der wir schon gespeist hatten, ließ uns auf drei Holzstühlen Platz nehmen und drückte uns ein dampfendes Getränk in die Hände, das verführerisch lecker nach frischem Tee duftete.
War uns Uruyén auf den müden ersten Blick wie das Paradies erschienen, so wirkte es auf den etwas ausgeruhten zweiten eher bescheiden. Ich meine dies nicht negativ, denn diese Bescheidenheit strahlte trotz ihrer Einfachheit Wärme und Geborgenheit aus, das, was man in all den Luxushotels häufig vergeblich sucht. Kein Teppich schmückte den Boden der Hütte, aber er war blank und sauber gefegt. In einem Erker war eine offene Feuerstelle eingerichtet, in der gelbe Flammen leise knisterten, was eine unbeschreiblich behagliche Atmosphäre verströmte. Mitten im Raum stand ein großer Holztisch, schlicht und unverziert, aber genauso gerade und natürlich wie die Bewohner der Hütte, die uns an diesem Tisch gegenüber saßen und warmherzig lächelten. Die Frau
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