Der Fluch der Makaá
meinen Platz einnehmen wollte – Mateo und meine Brüder maulten schon, dass es ihnen viel zu langsam ginge, da sie schließlich auch noch rein wollten, wir hätten ja noch etwas anderes vor – da hielt mich eine Hand am Kragen zurück. Überrascht fuhr ich herum, rutschte dabei aus, balancierte für den Bruchteil einer Sekunde zwischen Steg und Einbaum und hätte mich wohl oder übel für den Fluss entschieden, wenn nicht Mateos starke Arme mich rechtzeitig zurück auf den Steg gezogen hätten.
„Was ist los“, schimpfte ich und vergaß beinahe leise zu sprechen. „Erst drängst du mich und jetzt hältst du mich zurück! Na dir soll’s mal jemand recht machen!“
„Ich habe dich nicht zurückgehalten“, flüsterte Mateo leise und schaute geradewegs an mir vorbei. Ich folgte seinem Blick und wäre beinahe wieder in den Fluss gefallen, als ich die Weise Frau auf dem Steg stehen sah. Mist , dachte ich, jetzt ist alles aus . Unsere Aktion war aufgeflogen. Die alte Frau stützte sich auf einen Stock und raunte Mateo ein paar Worte zu, die nur er verstehen konnte. Zu meiner großen Überraschung klangen sie zwar ernst, aber keineswegs verärgert, eher freundlich. Mateo antwortete der weisen Frau auf dieselbe Art und Weise, während meine Brüder und ich gespannt waren zu erfahren, was gerade gesagt wurde. Erfreulicherweise brauchten wir nicht lange zu warten, bis Mateo es uns erklärte: „Die Weise Frau hat gewusst, was ihr vorhabt. Heute Morgen hat sie es in euren Herzen gelesen, als ihr selber noch nichts von diesem Plan geahnt habt. Sie ist gekommen, um euch Ihren Schutz zu geben.“
„Ihren Schutz?“, flüsterten meine Brüder und ich gleichzeitig.
„Er soll euch auf dieser Reise behüten und das Böse von euch fernhalten“, erklärte Mateo und legte der alten Frau wie zum Zeichen die Hand auf die Schulter.
Sogleich suchten ihre hellen Augen nach mir. Ich reichte ihr die Hand, und sie zog mich zu sich, so wie sie es an diesem Morgen schon einmal gemacht hatte. Doch anstelle mein Gesicht wieder abzutasten, drückte sie mir einen Kuss auf die Stirn, murmelte ein paar fremde Worte und wandte sich dann Robert zu.
Das war’s? , dachte ich. Das ist der Schutz vor dem Bösen? Da hatte ich mir ein klein wenig mehr versprochen…
Oliver war an der Reihe. Die Weise Frau küsste auch ihn auf die Stirn und murmelte dieselben Worte, die sie bereits über Robert und mir ausgesprochen hatte. Als die Prozedur beendet war, wollte sie sich zurückziehen, doch Oliver hinderte sie daran. Er griff einfach ihre Hand, beugte sich wie ein kleiner Gentleman vor und drückte der Weisen Frau einen so dicken Kuss auf die Stirn, dass es schmatzte. „Oliver!“, rief ich schockiert, hätte aber am liebsten laut losgelacht. „Was machst du denn da? Du kannst doch nicht einfach die Weise Frau küssen!“
„Du siehst doch, dass ich es kann!“, entgegnete Oliver spitzbübig und war sich keiner Schuld bewusst.
Die Weise Frau, die die Eigenarten meines kleinen Bruder bereits kannte, machte ein verdutztes Gesicht, lächelte jedoch in sich hinein und strich Oliver ein paar Mal sanft über das Haar. Dann wandte sie sich Mateo zu, wechselte ein paar letzte Worte mit ihm und begab sich schließlich zurück auf den Weg zum Dorf. Eine Weile blickten wir ihr nach, bis die Dunkelheit sie vollständig verschluckt hatte. Jetzt brach Mateo die Stille und sagte: „Ich glaube, nun können wir losfahren.“
Nacheinander stiegen wir ins Boot, diesmal ohne zu murren – und es bot tatsächlich genug Platz für uns alle! Mateo und ich ließen die Jungs in der Mitte Platz nehmen, während er sich nach hinten und ich mich nach vorne setzte. Jeder von uns nahm sich ein Paddel und tauchte die Blätter in den dunklen Fluss. Kleine Wellen klopften leise gegen den Bug, als der Einbaum Fahrt aufnahm und sich mit der Strömung flussabwärts tragen ließ.
Die Kühle der Nacht legte sich auf unsere Haut, während eine leise Brise den würzigen und belebenden Duft der Freiheit um unsere Nasenspitzen wehte. Was für ein aufregendes Gefühl, sich in einer sternklaren Nacht von Welle zu Welle tragen zu lassen, dem Glucksen des Flusses zu lauschen als erzählte er eine Geschichte in einer Sprache, die unsere Welt längst vergessen hatte!
Ein paar Mal fuhren wir an kleinen Lichtpunkten vorbei, warme, häusliche Feuer, die ruhig und lautlos in der Gran Sabana brannten. Mateo nannte die Orte beim Namen: Kamarata und Kavac, die größeren Siedlungen des
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