Der Fluch der Makaá
paar Jahren einmal einen Schnuppertauchkurs mitgemacht zu haben. Vieles konnte ich nun anwenden. Selbst als die Dunkelheit mich umschloss und ich die Orientierung zu verlieren drohte, konnte ich mich zusammenreißen und eine Panik verhindern. Ich blieb ruhig. Doch nicht, weil ich furchtlos war, nein, sondern weil ich keine andere Wahl hatte.
Es mochten keine zwanzig Sekunden vergangen sein, seitdem ich untergetaucht war, doch es erschien mir bereits wie eine Ewigkeit, und die seltsamsten Ideen bahnten sich ihre Wege in meinem Kopf. Es ist beinahe nicht möglich, die Gedanken wiederzugeben, die einem Menschen in einem solchen Moment der Ungewissheit und Hilflosigkeit kommen. Selbst heute lassen sich die Erinnerungen nur ungern zurückrufen, und wenn sie erscheinen, dann sind sie blass und undeutlich. Ich weiß noch, dass ich mich an eine Physikstunde erinnerte, in der der Lehrer etwas über Druck und Dichte erklärt hatte. Ich hatte damals nicht zugehört, es hatte mich einfach nicht interessiert, und noch immer finde ich es seltsam, dass dieser banale Ausschnitt aus meinem Leben mir gerade in diesem Moment einfallen musste, als ich mich mehrere Meter unter der Wasseroberfläche eines Sees befand, der offensichtlich mehr war, als er zu sein schien. Auch dachte ich an einen Besuch bei meinen Großeltern, bei denen es immer selbstgemachte Marmelade zum Frühstück gab. Doch der vorherrschende Gedanke, der alle anderen übertönte, war das Verlangen, endlich den Grund zu erreichen, das besagte Stück zu finden, das nicht hierher gehörte, und so schnell an die Oberfläche zurückzugelangen wie möglich. Ich wusste nicht, wie lange ich die Luft noch anhalten konnte.
Jeder Schwimmzug ließ mich ein Stückchen tiefer in die Dunkelheit vordringen. Und plötzlich mischte sich die Sorge in meine Gedanken, wie ich denn ohne Licht das unpassende Teil finden sollte! Diese Tatsache brachte mich beinahe zur Verzweiflung. Ich musste doch diese Prüfung bestehen! Ich musste. Was würde sonst aus meinen Eltern werden? Ich dachte an sie und an meine Brüder, und schließlich dachte ich auch an Mateo, der irgendwo im Schatten eines Baumes auf unsere Rückkehr wartete, die womöglich niemals eintreten würde. Ein paar Luftblasen wichen aus meinem Mund. Erschrocken presste ich die Lippen fester aufeinander. Ich brauchte die Luft. Unbedingt. Konzentrier dich, Mel! Bleib ruhig. Es ist nur ein Test, nur ein Test, ein Test…
Es gelang mir, mich wieder zu sammeln. Eine halbe Minute war ich nun gut und gerne unter Wasser. Ich schätzte, dass ich ungefähr noch einmal so viel Zeit hatte, bevor mir die Luft ausgehen würde. Nicht länger, denn schon jetzt, schien mir der Sauerstoffmangel nicht zu bekommen: meine Augen spielten mir einen Streich. Immer wieder sah ich vor mir einen roten Punkt aufblitzen. Mal war er hier, mal war er dort, mal links und rechts zu gleicher Zeit. Ich blinzelte, doch anstelle zu verschwinden, verdoppelte sich der Punkt. Ich machte einen weiteren Schwimmzug und wich plötzlich zurück. Wie auf Kommando wurde die Dunkelheit um mich herum verdrängt durch kräftiges rotes Licht. Es strahlte unweit von mir herauf, und ich war mir sicher: ich hatte den Grund des Sees erreicht. Schlieren durchzogen das Wasser, und kleine Partikel schwebten im roten Schein an mir vorbei. Doch woher kam das Licht? Es war so hell wie die Scheinwerfer eines Autos, doch auch wieder nicht so hell, dass man nicht längere Zeit hineinschauen konnte. Angestrengt suchten meine Augen nach der Quelle, und als ich sie gefunden hatte, wurde mir einiges auf unliebsame Weise klar. Die Prüfung , so hatte die Stimme gesagt, hält genau das, was das Symbol der Makaá verspricht. Sie hatte recht behalten: der Grund des Sees war bedeckt von kleinen, lebendigen Körpern, die sich träge drehten und wendeten als wären sie soeben aus einem tiefen Schlaf erwacht. Ich blickte direkt in die rot leuchtenden Augen tausender einäugiger Frösche, die mich prüfend durchleuchteten. Am liebsten wäre ich auf der Stelle umgekehrt, um das Weite zu suchen, doch wem hätte es was genützt? Es sind doch nur Frösche, Mel, versuchte ich mir einzureden. Kleine putzige Frösche – mit roten Augen – und ohne Haut… Trotzdem, nur kleine, einäugige Fröschis! Harmlos … Ganz harmlos… Allmählich kam Leben in die Froschkolonie. Sie schienen mich als den Grund für ihre rüde Störung ausfindig gemacht zu haben, und kamen nun in Scharen auf mich zu. Mit kräftigen
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