Der Fluch der Makaá
verschaffen. Gefolgt von meinen Brüdern lief ich schnurstracks zum See. Er hatte die Ausmaße eines Swimmingpools und sah aus wie ein künstlich angelegtes Becken. Der steinige Rand fiel so steil ab, dass man selbst in seiner Nähe keinen Grund erkennen konnte. Das Wasser mochte unendlich tief sein, stand aber so hoch, dass es über den Rand hinwegzuschwappen drohte, wenn es sich erst einmal bewegte. So wie es in der stillen Kühle der Höhle ruhte, wirkte es in seiner dunkelroten Farbe zähflüssig und klebrig. Ein Schauder durchfuhr uns bei dem Anblick. „Was sonst könnte einer Taufe mit rotem Blut näher kommen?“, fragte ich bitter.
„Moment mal. Wir müssen doch nicht etwa in dieses Becken steigen, oder?“, fragte Oliver und verzog angewidert sein Gesicht. Lächelnd beruhigte ich ihn: „Keine Sorge, Oli, du musst da nicht rein.“
„Puh!“, machte Oliver sichtlich erleichtert. So sehr er die Herausforderung der Höhe liebte, die unheimliche Tiefe eines stillen Wassers schreckte ihn ab.
„Dann müssen also wir beide tauchen gehen, richtig?“, fragte Robert. Seine Stimme klang fest und entschlossen. Dies war für ihn bereits eine Tatsache, die er so sachlich feststellte, als würde sie ihn selber gar nichts angehen. Er erstaunte mich immer wieder aufs Neue. Doch diesmal lag Robert daneben. „Falsch“, antwortete ich. „Es besteht kein Grund, dass wir uns alle nass machen. – Mehr als wir eh schon sind, meine ich“, scherzte ich mit gespielter Leichtigkeit, während ich mit klammen Fingern die Schnürsenkel meiner Schuhe löste und mir das T-Shirt in die Hose steckte.
„Heißt das, du willst ohne mich in den See steigen?“, fragte Robert und machte große Augen.
„Ich möchte nicht, dass Oliver alleine in der Höhle zurückbleibt. Wer weiß, zu was für Illusionen die Makaá sonst noch fähig sind. Außerdem musst du mir mit der Taschenlampe leuchten. Der See ist so undurchsichtig, dass ich ein wenig Licht gut gebrauchen kann.“
Nachdem ich meine Gründe dargelegt und Robert und Oliver entgegen ihrer Proteste eingeschärft hatte, sofort zum Ausgang zu gehen, falls ich innerhalb der nächsten fünf Minuten nicht wieder erscheinen sollte, tauchte ich den linken Zeh zaghaft in die Flüssigkeit. Die Oberfläche vibrierte und kleine, konzentrische Kreise jagten mit immer größer werdendem Radius durch den See. Rasch zog ich den Fuß wieder heraus und schüttelte mich angewidert.
„Okay, okay“, beruhigte ich mich wieder. „Das war nur ein Test. Jetzt wird’s ernst.“ Langsam ließ ich mich auf den Beckenrand sinken und schob beide Beine über den Rand, sodass sie bis zu den Waden im See baumelten. „Uh“, hörte ich Oliver hinter mir machen. Ich hätte es nicht besser ausdrücken können. Es kostete mich unglaubliche Überwindung, doch schließlich presste ich die Lippen fest aufeinander, gab mir einen Ruck und ließ mich fallen. Ich fühlte mich furchtbar, doch um meine Brüder nicht zu beunruhigen, reckte ich den Daumen in die Höhe und rief: „Alles klar! Ist überhaupt nicht schlimm!“
Stehen konnte ich an keiner einzigen Stelle, und so trat ich mit den Füßen, als würde ich auf einem unsichtbaren Fahrrad fahren, um an der Oberfläche zu bleiben. Kleine, glucksende Wellen brachen sich am felsigen Rand und benetzten die Steine, über die sie leise hinwegrollten. Noch immer war der See relativ ruhig, doch tief in seinem Inneren, das spürte ich, war er erwacht… und lauerte… und beobachtete…
„Ich tauch jetzt hinab“, informierte ich meine Brüder nach einer Weile und versuchte gleichsam den Mut aufzubringen, um das auszuführen, was ich so tapfer verkündet hatte.
„Viel Glück!“, riefen sie mir zu. Mehrmals holte ich tief Luft, jedes Mal fest entschlossen, sie erst wieder entweichen zu lassen, wenn ich vom Grund zurückgekehrt war, doch erst, nachdem meine innere Stimme mich beinahe anbrüllte, dass das alles von unserer Zeit abginge, füllte ich so viel Luft in meine Lungen, wie sie nur aufnehmen konnten. Ohne weiter darüber nachzudenken, tauchte ich kopfüber in die rote Flüssigkeit.
Es war gut, dass Robert mit der Lampe leuchtete, denn schon nach wenigen Sekunden war das Wasser nicht mehr rot, sondern schwarz vor Dunkelheit. Im schmalen Lichtkegel der Taschenlampe glitt ich mit kräftigen Armschlägen tiefer und tiefer, bis der Schein allmählich verblasste. Immer wieder musste ich den Druck in meinen Ohren ausgleichen, und war zum ersten Mal froh, vor ein
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