Der Fluch der Makaá
und wendete es, hielt es gegen das Licht und gab es mir nach ausgiebiger Prüfung wieder zurück.
„Und?“, hakte ich erwartungsvoll nach. Mateo zog einen schiefen Mund und blickte skeptisch. „Habt ihr den Stein hier gefunden?“, wollte er wissen. Wir nickten. „Das ist seltsam, denn es gibt nur einen einzigen Ort in Venezuela, wo dieser Stein vorkommt – und dieser hier ist es nicht.“
Meine Brüder fuhren zu mir herum, ihre Augen leuchteten und auch mir fiel ein riesengroßer Stein vom Herzen. Mateo hatte uns soeben unwissentlich bestätigt, dass wir die Prüfung tatsächlich bestanden hatten. Zwar hatten wir es schon vermutet, da bei unserer Rückkehr der Felsen den Höhlenausgang freigegeben hatte – so wie wir die Makaá einschätzten, wäre dies bei einem Versagen nicht passiert – doch wir waren unendlich erleichtert, dass dieser kleine Stein tatsächlich das Teil war, das nicht in diese Gegend gehörte.
„Was ist das für ein Stein?“, fragte Robert eifrig.
„Oh, dies ist nicht nur ein Stein, es ist ein Halbedelstein! Jaspis heißt er. Eigentlich ist er ein undurchsichtiges, feinkristallines Quarzgestein, doch die Rotfärbung bekommt er durch kleine Einschlüsse von Hämatit.“
„Und wo findet man Jaspis in Venezuela?“, fragte ich aufgeregt, mit den Fachbegriffen konnte ich eh nichts anfangen.
„In der Nähe der brasilianischen Grenze. Nur ein paar Kilometer von San Ignacio de Yuruani entfernt gibt es einen kleinen Fluss, der mitten durch den Urwald fließt. In diesem Fluss findet man die Quebrada de Jaspe, die Jaspisbänke. Das Wasser der Quebrada ist überhaupt nicht tief – es reicht einem nur an wenigen Stellen bis über das Knie – und ist dabei so glasklar, dass die Halbedelsteine wunderbar hindurchschimmern. Sie fangen das Sonnenlicht auf zauberhafte Weise ein und reflektieren es. Es ist ein wunderschöner Ort, und jeder, der nach Venezuela kommt, muss einmal dort gewesen sein!“
„Gut, dass du es ansprichst“, lachte ich freudig. „Denn es ist unser nächstes Ziel.“
Mateo spitzte die Lippen und stieß einen leisen Pfiff aus. „Also gut“, sagte er langsam. „Aber es wird eine Weile dauern, bis wir da sind. Es sind über 300 Kilometer, und wir haben kein Auto. Mit dem Boot und zu Fuß werden wir frühestens nächste Woche ankommen.“
„Wir haben aber nur bis Vollmond Zeit!“, teilte Oliver dem Indianer offenherzig mit.
„Sssht“, machte Robert und gab Oliver einen Knuff in die Seite. „Mateo will davon nichts wissen.“
Eine tiefe Falte wölbte sich über der Nasenwurzel des jungen Indianers. „Der Weg der Makaá geht auf Zeit?“, fragte er langsam. Wir nickten stumm und schauten betreten beiseite. Warum war Oliver nur so ein Plappermaul? Bei diesem Kind war aber auch kein Geheimnis sicher. Doch wenn wir erwartet hatten, dass unser indianischer Freund wütend auf uns war, so hatten wir uns getäuscht. „Gut zu wissen“, murmelte Mateo und blickte stumm vor sich hin, bis er sich schließlich zu der Frage durchrang, die ihn beschäftigte: „Haben sie noch etwas mehr dazu gesagt? Bezüglich der Zeit meine ich.“
„Nur das, was Oliver schon gesagt hat: Wir haben bis Vollmond Zeit, und sie läuft bereits gegen uns“, erklärte ich. „Danach wurde uns nur erläutert, was passieren würde, wenn wir es nicht rechtzeitig schaffen, in die geheimen Hallen vorzudringen…“
„Bis Vollmond, bis Vollmond…“, wiederholte Mateo mehrfach und schien mir schon gar nicht mehr zuzuhören. Mit dem Handrücken fuhr er sich über die Stirn und schloss die Augen.
Unterdessen versuchte ich mich zu erinnern, wie der Mond in den vorherigen Nächten ausgesehen hatte, aber da ich ihm wenig Beachtung geschenkt hatte, konnte ich es nicht mit Sicherheit sagen. „Was für einen Mond haben wir zurzeit, Mateo?“
„Halbmond“, kam es wie aus der Pistole geschossen.
„Zu- oder abnehmend?“, fragte Robert.
Mateo schnaubte. „Das ist das Problem“, sagte er. „Er nimmt zu.“
Robert und ich tauschten einen erschrockenen Blick aus. Halbmond – das bedeutete, wir hatten maximal zwei Wochen Zeit, um in die Hallen der Makaá zu gelangen! Zwei Wochen, vielleicht sogar weniger.
Nun stellten die 300 Kilometer bis zu den Jaspisbänken in der Tat ein Problem für uns dar, über dessen Lösung auch Mateo zu grübeln schien, denn er sagte eine ganze Weile überhaupt nichts. Innerhalb der nächsten paar Minuten hatten wir das andere Ufer der Lagune erreicht, an dessen
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