Der Fluch der Makaá
der Ansicht, dass der amerikanische Reiseleiter damit gewaltig untertrieben hatte. Mateo und Tony unterhielten sich abwechselnd auf Spanisch und Englisch, ab und zu auch in der Sprache der Kamarakoto, was meine Brüder und mich sehr überraschte, denn Tony sah alles andere als Indianisch aus. Bei dieser Redegewandtheit verstanden wir jedoch nur bruchstückhaft, worüber die beiden sprachen. Nur an den paar Brocken Englisch, die zu mir rüber drangen, meinte ich, Mateo sich entschuldigen zu hören, dass er mit uns an diesem Morgen bei den Wasserfällen gewesen war ohne uns anzumelden. Aufgrund der Schwamm-drüber-Geste, die Tony mit seinem fülligen Arm vollzog, durften wir beruhigt annehmen, dass er dies nicht übel nahm.
Nach einem flotten Wortwechsel, bei dem Mateo und Tony offenbar miteinander scherzten – das entnahm ich ihren erheiterten Gesichtern – drehte sich unser indianischer Freund zu uns um und winkte uns heran. Zögerlich erhoben wir uns und schlichen zu Mateo und Tony hinüber. „Tony sagt, er muss noch eben die Gruppe Touristen dort vorne in ihr Boot setzen, dann ist er für uns da“, erklärte uns Mateo. „Aber wenn ihr wollt, dürft ihr euch schon mal in das Gästebuch eintragen. Es liegt dort drüben. Vielleicht findet ihr darin ja sogar ein paar Namen aus Deutschland!“
„Und was machst du?“, fragte Oliver und legte seine Hand in Mateos.
„Ich geh schnell mit Tony zum Ufer, dauert nicht lange.“
Der dicke Mann streckte seine Hand in die Luft und winkte die muntere Schar Touristen zu sich. Da sowohl Japaner, Franzosen und Italiener darunter waren, sprach er sie in Englisch an, und bat sie, ihm zu folgen. Mateo nickte uns aufmunternd zu und verließ mit Tony und der Gruppe die Hütte. Nachdem das fröhliche Stimmengewirr abgeklungen und nur noch das eintönige Brummen der Ventilatoren über unseren Köpfen zu hören war, kam wieder Leben in meine Brüder und mich. „Wo ist das Gästebuch?“
Wir fanden es auf einem kleinen Pult an der rechten Seite des Schreibtischs. Es war groß und schwer und mit einer langen Kette am Tisch befestigt. Auf der aufgeschlagenen linken Seite standen in jeder Linie Namen in Reih und Glied: Name, Vorname, Land, Kommentar, Datum. Auf der rechten Seite wurde die Liste akribisch genau weitergeführt, doch es waren noch Reihen frei. „Los, wir tragen uns ein!“, rief Robert und griff nach dem Stift, der im offenen Buch lag. Sorgfältig malte er seinen Namen in die freie Spalte: F., Robert (wir zogen es alle vor, unseren Nachnamen für uns zu behalten. Die Initiale sollte reichen) Deutschland – Kommentar… Nachdenklich zog er die Augenbrauen zusammen. „ Ein wahrhaft magischer Ort “, schlug er vor, und Oliver stimmte begeistert zu. „Das trifft es genau!“, krähte er vergnügt und hüpfte vor Aufregung, weil er sich als nächstes eintragen durfte. Natürlich hielt er sich nicht an die vorgegebenen Linien und benötigte beinahe zwei davon, um die Buchstaben auf das Papier zu bringen. Anstelle eines Kommentars, entschied sich mein kleiner Bruder lieber dafür, eine lachende Sonne und ein Boot zu malen, was noch mal reichlich Platz in Anspruch nahm. „Und nun du, Mel!“, meinte er und reichte mir den Stift. Ich trug meinen Namen ein und schrieb in die letzte Spalte wahrheitsgetreu, doch nicht ohne Wehmut: Ein Erlebnis, das man nicht so schnell vergisst .
Unsere Namen waren verewigt, aber von Mateo und Tony war überhaupt nichts zu sehen. Um uns die Zeit angenehm zu vertreiben, blätterten wir in dem Buch herum, lasen die Kommentare und versuchten die Namen zu entziffern. Ein paar der Eingetragenen kamen ebenfalls aus Deutschland. Bald wurde aber auch das langweilig und Oliver und ich blickten sehnsüchtig zu dem Getränkeautomaten hinüber, in dem eiskalte Cola, Fanta und Sprite uns verführerisch anlächelten. Robert blätterte unterdessen noch etwas in dem Buch. Plötzlich stutzte er.
„Du, Mel!“, fragte er bedächtig. „Wie hieß die Dame noch gleich, die wir im Hotel getroffen haben? Du weißt schon, die mit dem roten Bikini!“
„Karina – Wieso?“, wunderte ich mich.
„Und wie weiter?“, hakte Robert nach. „Keine Ahnung… Ach doch, warte mal: Stab, nein: Stock! Genau, das war’s: Karina Stock. Aber wie kommst du jetzt darauf?“ Neugierig blickte ich Robert über die Schulter, während sein Finger auf einem Eintrag ruhte, der keine zwei Monate alt war.
Meine Kinnlade klappte herunter und ich schnappte ein paar Mal nach Luft.
Weitere Kostenlose Bücher