Der Fluch der Maorifrau
habe schon ein wenig in ihren Aufzeichnungen gelesen. Anscheinend hatte sie, also hatten wir Vorfahren, die hierher ausgewandert sind. Ich schätze mal, es handelt sich um meine Urururgroßmutter -«
»Na, Mädels, störe ich?«, mischte sich nun John ein, der den Grill offenbar zum Glühen gebracht hatte. Sophie verschluckte das, was sie gerade hatte sagen wollen. In der Gegenwart des Anwalts fühlte sich nicht so unbefangen wie mit Judith allein.
»Männer stören immer, wenn zwei Frauen sich unterhalten«, scherzte Judith, versetzte ihrem Partner einen freundschaftlichen Stoß in die Rippen und drückte ihm die volle Salatschüssel in die Hand. Die Frauen folgten ihm auf die Terrasse. John band sich eine Schürze um und stellte sich, mit einer Grillzange bewaffnet, an den einfachen Holzkohlegrill. Sophie beobachtete das interessiert. Die Male, die sie in ihrem Leben zum Grillen eingeladen worden war, konnte sie an einer Hand abzählen. In ihrem Elternhaus hatte es so etwas nie gegeben, und später, während des Studiums in London, war sie vielleicht zwei oder dreimal bei einem Barbecue gewesen.
John Franklin entpuppte sich als wahrer Könner im Grillen. Das Lamm, das er auf den Teller brachte, war zart gebräunt und innen rosa. Selten hatte Sophie so gutes Fleisch gegessen. Plötzlich spürte sie, was für einen riesigen Hunger sie hatte. Ohne falsche Zurückhaltung ließ sie es sich schmecken. Dazu servierte Judith einen eiskalten Crémant. Diesen edlen Tropfen hatte Sophie hier am Ende der Welt nicht erwartet. Sie entspannte sich mit jedem Schluck ihres alkoholischen Lieblingsgetränks mehr, während das angeregte Fachsimpeln der Anwälte an ihr vorüberrauschte.
»Heute hat dieser Miller, dieser hinterwäldlerische Farmer aus Invercagill, dem die Frau abgehauen ist, mir mitten im Scheidungsprozess zugeraunt, dass durch meine Familie ja wohl auch mal ein Maori gehüpft sein müsse, und hat Rache geschworen«, hörte Sophie die junge Anwältin jetzt sagen.
»Ich würde es als Kompliment begreifen«, entgegnete John.
»Na klar, tue ich auch, eine meiner Ahninnen soll schließlich eine dieser weisen Frauen gewesen sein. Vom Iwi, also vom Stamm der Waitaha. Diese Ururururgroßmutter soll sogar ihre eigene Tochter aus dem Stamm ausgestoßen haben, nur weil sie einen weißen Farmer geheiratet hatte. Das arme Mädchen ist dann wohl später ins Wasser gegangen, weil es nicht mehr wusste, wo es hingehörte. Und das, obwohl es selber ein Kind hatte, allerdings nur eines, was ihr der Mann ein Leben lang vorgeworfen hat, ein kränkliches Mädchen. Bei der Geburt wäre sie beinahe gestorben. Meine Großmutter hat uns diese Geschichte immer wieder neu erzählt und ausgeschmückt. Ich habe leider vergessen, wie die Arme hieß. Sie hatte so einen langen Maorinamen. Den werde ich mir niemals merken können.«
»Judith, dann wissen Sie vielleicht auch, was Ka mate heißt?«, mischte sich Sophie nun ein und spürte, wie sich ihr Herzschlag merklich beschleunigte.
»Natürlich, ich habe ich mich seit jeher für die Sprache und die Kultur der Maori interessiert. Kein Wunder, bei mir sind ihre Gene wohl voll durchgekommen, wie man unschwer erkennen kann. Ka mate heißt übersetzt: Ich sterbe, aber es kann auch Der Tod bedeuten.«
»Und was bedeutet es, wenn bewaffnete Maori Ka mate in einem Singsang wiederholen und dabei die Zungen herausstrecken?«
»Das Herausstrecken der Zunge soll die bösen Geister vertreiben, oft im Zusammenhang mit einem Haka.«
»Und was ist ein Haka?«, wollte Sophie wissen.
»Eine Art Kriegstanz. Ein Furcht erregendes Schauspiel, mit dem man dem Gegner die Überlegenheit demonstrieren und Angst einjagen will. Maori sind hervorragende Krieger, müssen Sie wissen!«
»Hat das etwas mit Ihrer eigenen Geschichte zu tun?«, erkundigte sich John Franklin interessiert.
»Nein, nein!«, wiegelte Sophie rasch ab. »Ich habe einmal die Geschichte über einen weißen Siedler in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gelesen, der einer jungen Maori etwas Böses angetan hat und den ihre Stammesbrüder dann mit einem Haka in Angst und Schrecken versetzt haben.«
»Na, da kann der nur von Glück sagen, dass sie ihn überhaupt am Leben gelassen haben. Da muss der Mann aber einen starken Fürsprecher im Stamm gehabt haben«, erklärte Judith vollkommen ungerührt.
»Ich glaube, die Maori hat ihn und seine Nachkommen stattdessen mit einem Fluch belegt. Da weiß ich jetzt auch nicht, was besser gewesen
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