Der Fluch der Schriftrollen
er Sie mehr als
neunundachtzig Cent gekostet hat, ist er zu teuer für mich.«
Ben lachte wieder. Er fühlte
sich sonderbarer Weise ganz entspannt in ihrer Gegenwart. Seine Unruhe während
des Nachmittagsunterrichts – die Art und Weise, wie sie ihn aus der Fassung
gebracht hatte – war nun vergessen.
»Warum haben Sie ihr den
Namen Poppäa gegeben?« erkundigte sie sich, während sie die Katze kraulte.
Ben zuckte die Schultern. Er
hatte nie ernstlich darüber nachgedacht. Der Name war ihm ganz spontan
eingefallen, als er sie vor zwei Jahren als junges Kätzchen kaufte. »Ist ihr
Name Poppäa Sabina?« fragte Judy weiter. »In der Tat, ja.«
»Die Gattin des Kaisers Nero.
Lebte um fünfundsechzig nach unserer Zeitrechnung, glaube ich. Interessanter
Name für eine Katze.«
»Sie ist ein verführerisches,
eigensinniges, eingebildetes und verwöhntes kleines Aas.«
»Und Sie lieben sie.«
»Und ich liebe sie.«
Sie nippten beide eine
Zeitlang an ihrem Wein, ohne ein Wort zu wechseln. Judy ließ ihren Blick in der
Wohnung umherschweifen und bewunderte die geschmackvolle und teure Einrichtung.
Sie glaubte, die persönliche Note Benjamin Messers darin zu erkennen, die
seiner lässigen, südkalifornischen Art entsprach. Dann schoß ihr ein Gedanke
durch den Kopf, eine plötzliche, brennende Neugierde packte sie. Sie rang einen
Augenblick mit sich selbst, ob sie die Frage stellen sollte.
Sie musterte den Mann an
ihrer Seite, sein gefälliges, attraktives Gesicht, sein ungekämmtes, blondes
Haar, seinen Körper, der sie an den eines Schwimmers erinnerte. Sie war über
sich selbst überrascht, als sie mit gedämpfter Stimme fragte: »Sind Sie
praktizierender Jude?«
Ihre Offenheit verblüffte
ihn. »Wie bitte?«
»Entschuldigen Sie. Es geht
mich ja nichts an, aber ich bin immer neugierig, die religiösen Ansichten von
Leuten zu erfahren. Das war unhöflich von mir.«
Ben wandte seinen Blick von
ihr ab und fühlte, wie er in Verteidigungsstellung ging. »Es ist kein Geheimnis.
Ich praktiziere die jüdische Religion nicht mehr. Schon seit vielen Jahren
nicht mehr.«
»Warum?«
Er blickte sie erstaunt an
und fragte sich zum wiederholten Male, welch sonderbare Eingebung ihn dazu
veranlaßt hatte, ihr von der vierten Rolle zu erzählen. Und warum er ihr Wein
angeboten hatte und warum er nun bereitwillig mit ihr hier saß, anstatt ihr die
Tür zu weisen.
»Die jüdische Religion ist
nicht die Antwort für mich, das ist alles.« Sie schauten sich einen Moment lang
in die Augen – gefangen in einem Blick, der in diesem Augenblick dazu
geschaffen schien, die Distanz zwischen ihnen zu überbrücken. Dann wandte sich
Ben ab, während er langsam sein Weinglas in den Händen drehte. Er fing an, sich
äußerst unbehaglich zu fühlen.
»Also dann«, Judy hob die
Katze aus ihrem Schoß und stand auf, »Sie können es wohl kaum mehr abwarten, an
das nächste Foto zu kommen.«
Ben stand ebenfalls auf. »Ich
werde versuchen, an den Kodex zu denken…«
»Das wäre prima.« Sie warf
ihr Haar nach hinten über die Schultern, so daß es ihr über Rücken und Taille
fiel, und nahm ihre Schultertasche an sich.
Gemeinsam gingen sie zur Tür,
wo Ben einen Moment verweilte, bevor er sie öffnete. »Ich lasse Sie wissen, was
David zu sagen hat«, versprach er.
Sie warf ihm einen kurzen,
etwas seltsamen Blick zu und meinte dann: »Danke für den Wein.«
»Gute Nacht.«
An seinem Schreibtisch las er
nochmals das erste Foto. Danach machte er sich an die Übersetzung des zweiten.
Es war nicht leicht für uns,
bei Rabbi Eleasar Gehör zu finden. Viele Tage lang warteten Saul und ich im Hof
des Tempels, nur um… (Riß im Papyrus) … Wir saßen zusammen mit anderen
Jugendlichen im Schneidersitz in der glühenden Sonne, bis uns alles weh tat.
Wir waren oft hungrig und erschöpft, wagten es aber nicht, uns von der Stelle
zu rühren. Einer nach dem anderen gab auf, und mit der Zeit wurde unsere Gruppe
immer kleiner… (Ecke an dieser Stelle herausgebrochen) … Saul und ich.
Nachdem wir eine Woche ausgeharrt hatten, um bei Rabbi Eleasar vorzusprechen,
wurden wir in seinen Kreis in die überdachte Vorhalle gerufen. Meine Kehle war
trocken und meine Knie weich. Dennoch zeigte ich meine Furcht vor dem großen
Mann nicht. Demütig fiel ich zu seinen Füßen auf die Knie… (unleserlicher
Satz) … während Saul stolz aufrecht stehenblieb. Die Augen Eleasars waren
wie die eines Adlers. Sie durchbohrten mich, als wollten sie sehen, was
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