Der Fluch der Schriftrollen
auf der
anderen Seite meines Körpers war. Ich hatte Angst, und dennoch hielt ich
unabänderlich an meinem Entschluß fest. Ich vermochte nicht zu lächeln; Saul
hingegen zeigte dabei keine Scheu. Rabbi Eleasar fragte Saul: »Warum möchtest
du ein Schriftgelehrter werden?« Und Saul antwortete: »Und alle Leute
versammelten sich geschlossen auf der Straße vor der Schleuse, und sie sprachen
zu Ezra, dem Schriftgelehrten, er möge das Gesetzbuch Mose bringen, das der
Herr dem Volk Israel zur Vorschrift gemacht hatte. Und am ersten Tag des
siebten Monats brachte der Priester Ezra das Gesetz vor die Gemeinde aus
Männern und Frauen und allen, die hören und verstehen konnten.« Saul sagte:
»Rabbi Eleasar, ich möchte gerne werden wie Ezra und Nehemia vor mir.« Dann
wandte sich Rabbi Eleasar an mich und fragte: »Warum willst du ein
Schriftgelehrter werden?« Und ich konnte zuerst nichts sagen, denn Sauls
Antwort war so vollkommen gewesen, daß ich mich ihm nicht ebenbürtig fühlte.
Dann schluckte ich den Kloß in meinem Hals hinunter und erwiderte: »Ich möchte
wissen, Meister, woher Kains Frau kam, wenn sie nicht von Gott geschaffen
wurde.«
Rabbi Eleasar sah mich
überrascht an und wandte sich zu seinen Jüngern. Er sprach zu ihnen: »Was für
ein Betragen legt dieser Neuling an den Tag, daß er eine Frage mit einer Frage
beantwortet?« Und sie lachten alle.
Verärgert und gedemütigt,
sagte ich zu Eleasar: »Hätte ich keine Fragen, Meister, so würde ich einen
armen Schriftgelehrten abgeben. Und wenn ich schon alle Antworten wüßte,
welches Bedürfnis hätte ich dann, zu Euch zu kommen?«
Zum zweiten Mal war Eleasar
überrascht. So sagte er zu mir: »Was fürchtest du mehr, das Gesetz oder den
Tempel Gottes?« Und ich antwortete: »Das Studium der Thora ist eine größere Tat
als die Errichtung des Tempels.«
Rabbi Eleasar entließ Saul
und mich in die Vorhalle, und ich kämpfte gegen die Tränen der Bitternis und
der Enttäuschung an. Ich sagte zu Saul: »Er gab mir nicht die kleinste
Gelegenheit, um zu beweisen, daß ich seines Unterrichts würdig bin. Nun muß ich
zu einem unbedeutenderen Rabbi gehen und werde nur die Hälfte lernen.«
In dieser Nacht weinte ich
allein in meinem Zimmer: die ersten Tränen, die ich vergoß, seitdem ich vor
drei Jahren aus Magdala gegangen war. Ich hatte nach dem höchsten Gipfel
gestrebt und war gescheitert.
(Der Papyrus war an dieser
Stelle von Rand zu Rand mittendurch gerissen und machte damit vier Zeilen
unverwertbar. Die letzte Zeile lautete:) Am nächsten Tag erhielten Saul und ich den Bescheid, daß wir unsere
Lehre bei Rabbi Eleasar antreten könnten.
Kapitel Sechs
Am nächsten Morgen erwachte
Ben in heiterer und gelöster Stimmung. Er stand früh auf, duschte und rasierte
sich, frühstückte ausgiebig und nutzte die Zeit vor Unterrichtsbeginn, um die
Wohnung aufzuräumen. Da mußten mindestens fünfzehn Gläser eingesammelt und in
die Spülmaschine geräumt werden. Alle Aschenbecher quollen über. Poppäas
kleines Katzenklo mußte frischgemacht werden. Er öffnete die Fenster, um
durchzulüften und die abgestandene Luft zu vertreiben. Dann brachte er sein
Arbeitszimmer in Ordnung. Er stellte die Bücher auf die Regale zurück, leerte
den vollgestopften Papierkorb, wischte Krümel, Asche und Weinflecken von der
Tischplatte. Die ganze Zeit summte er vor sich hin. Ben hatte sich lange nicht
mehr so großartig gefühlt. Es war, als hätte er gerade eine Menge Geld geerbt
oder eben erfahren, daß er hundert Jahre alt werden sollte. Sein ganzer Körper
war wie elektrisiert, und so tanzte er singend durch die Wohnung, während er
aufräumte. Als Angie um neun Uhr an die Tür klopfte, begrüßte er sie mit einer
Umarmung, einem stürmischen Kuß und einer Flut von Entschuldigungen für die
vorangegangene Nacht.
»Es war ein harter Brocken«,
erklärte er, während er sie in die Wohnung hereinzog, »die vierte Rolle war ein
hartes Stück Arbeit, aber es ist mir gelungen, sie gestern nacht
fertigzuübersetzen und mir acht Stunden wohl verdienten Schlaf zu gönnen. Ich
habe mich seit Wochen nicht so gut gefühlt!«
Angie strahlte. »Das freut
mich. Weißt du, dein Telefon war dauernd besetzt.«
»Und deshalb, mein Schatz,
habe ich eine Überraschung für dich. Am Samstag morgen bei Tagesanbruch setzen
wir beide uns in mein Auto und fahren hinunter nach San Diego für zwei
vergnügliche, ausgelassene Tage.«
»O Ben, das klingt ja
großartig.«
»Wir
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