Der Fluch der Schriftrollen
aufs Postamt
gehen und dort Krach schlagen, um seinen Brief noch vor Montag zu bekommen.
Ansonsten wäre ein elendes Wochenende vorprogrammiert.
Ben stellte überrascht fest,
daß Judy Golden im Seminar fehlte. Obgleich ihre Gegenwart ihn
durcheinanderbrachte, erfüllte ihn ihre Abwesenheit mit noch größerer Unruhe.
Und diesmal hatte er sogar daran gedacht, den Kodex mitzubringen.
Nachdem er den Unterricht
pünktlich zu Ende gebracht hatte, hastete Ben nach Hause und fand einen gelben
Zettel in seinem Briefkasten. Ein Einschreiben aus Israel konnte am Montag
zwischen neun und fünf auf dem Postamt abgeholt werden.
Er verlor keine Zeit. Um
Viertel vor fünf war Ben auf dem Postamt und verlangte, den Postamtsvorsteher
zu sprechen. Innerhalb von fünf Minuten hatte er beachtliche Aufmerksamkeit auf
sich gezogen. Es wurde ihm gestattet, auf seinen Postboten zu warten, der kurz
darauf im Postamt eintraf. Er händigte Ben mißbilligend seinen Umschlag aus,
wobei er ihn darüber belehrte, daß dies eigentlich gegen die Vorschriften sei.
Fünfzehn Minuten später war
Ben wieder in seiner Wohnung, schaffte sich ein wenig Platz auf seinem
Schreibtisch, verbannte Poppäa ins Schlafzimmer und setzte sich hin. Nachdem er
sich innerlich auf den nächsten Auszug aus David Ben Jonas Leben vorbereitet
hatte, fiel sein Blick auf das Telefon, und mit weniger Skrupeln als das
letztemal nahm er den Hörer von der Gabel. Dann wischte er seine verschwitzten
Handflächen an der Hose ab und öffnete den Umschlag.
Darin war ein Brief von John
Weatherby.
Die gesamte Knesseth
einschließlich des Premierministers habe die Ausgrabungsstätte besucht, hieß es
darin. Sogar der amerikanische Botschafter und der berühmte Professer Yigael
Yadin seien nach Khirbit Magdal geeilt. Es folgten Beschreibungen von den
gräßlichen Arbeitsbedingungen: unberechenbare Wetterumschwünge,
Insekteneinfälle, ungenießbares Essen und kalte Nächte erschwerten die
Ausgrabungen. Und am Ende wünschte John Weatherby allen Mitarbeitern seines
Archäologenteams den Segen Gottes.
Ben warf den Brief auf die
Seite und riß den inneren Umschlag auf. Drei Fotos fielen heraus.
Das eine war ein
Schnappschuß, auf dem Dr. Weatherby über seine Schreibmaschine gebeugt zu sehen
war. Seine Hemdsärmel waren hochgekrempelt, und die Brille mit dem Drahtgestell
saß ihm ganz vorne auf der Nase. Er saß an einem Kartentisch vor einem Zelt. Das
zweite Foto zeigte Dr. Weatherby, seine Frau Helena und Professor Yigael Yadin
– alle drei posierten am Rand der Ausgrabungsstätte. Sie lächelten, als hätten
sie im Lotto gewonnen. Ihre Kleider waren staubig und schweißgetränkt.
Das letzte Foto war von der
Ausgrabungsstätte selbst – die Grabung war darauf schon viel weiter
fortgeschritten als auf dem ersten Bild, das Ben erhalten hatte. Pappschilder
zeigten die verschiedenen Ebenen an, und ein abgegrenzter Bereich schien die
Fundstelle der berühmten Tonkrüge zu sein. Der Schauplatz wurde von einer
Vielzahl Menschen bevölkert: Ben konnte darauf hagere, alte Wissenschaftler und
kräftige, junge Studenten erkennen, die in Khakikleidung über ihre Arbeit
gebeugt waren.
Er schaute nochmals in den
Umschlag. Es gab keine weiteren Fotos. Fluchend knallte er das ganze Bündel auf
den Tisch. Jetzt mußte er doch noch auf die Ankunft von Rolle Nummer fünf
warten! Wieder vierundzwanzig Stunden der Anspannung, des ungeduldigen Hin- und
Herlaufens, des Wartens darauf, daß David wieder zu ihm sprechen würde…
Poppäa Sabina kratzte
ärgerlich an der Schlafzimmertür, und Ben ließ sie heraus. Er nahm die Katze
auf den Arm und ließ sich mit ihr auf der Couch im dunklen Wohnzimmer nieder.
Poppäa war gekränkt, weil ihr nicht genug Beachtung geschenkt wurde, und Ben
schmollte wie ein enttäuschtes Kind.
Nachdem er eine halbe Stunde
lang versucht hatte, mit seiner unglaublichen Ernüchterung fertig zu werden,
beschloß Ben, vernünftig zu sein und sich zu beruhigen. Er entschloß sich auch,
Rolle Nummer vier nochmals durchzugehen. Da er beim Lesen solche
Schwierigkeiten gehabt hatte, wollte er sich vergewissern, daß ihm keine Fehler
unterlaufen waren.
Zwei Stunden verbrachte er an
seinem Schreibtisch und fügte hier und da Korrekturen in seine Übersetzung ein.
Als er die letzte Zeile des zweiten Fotos beendet hatte, fühlte er sich seltsam
glücklich und freudig erregt. Er sprang vom Schreibtisch auf und lief singend
in die Küche, wo er sich ein Glas Wein eingoß. Mitten im
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