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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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seine
Brille fehlte und daß sein blondes Haar nach allen Seiten vom Kopf abstand.
»Erinnern Sie sich nicht daran, daß Sie mich angerufen haben?«
    »Ich…« Ben massierte sich die
Schläfen. »Ja… jetzt erinnere ich mich. Aber Angie war doch hier. Nein, warten
Sie, sie ist ja gegangen. Wir hatten eine Auseinandersetzung, und danach ist
sie gegangen. Aber das ist schon Stunden her! O Gott!«
    Ben lief in die Küche, wo er
sich daranmachte, die Kaffeekanne mit Wasser zu füllen. Als er spürte, daß Judy
hinter ihm im Türrahmen stand und ihn beobachtete, meinte er: »Ich kann Ihnen
nicht beschreiben, wie sehr ich mich in dieser letzten Schriftrolle verloren
habe. Es ist, als ob ich überhaupt nicht hier gewesen wäre. Es kommt mir gerade
so vor, als wäre ich um zweitausend Jahre zurückversetzt worden und hätte
Davids Leben noch einmal gelebt…«
    »Haben Sie heute wieder eine
Rolle bekommen?« Er schaute zu Judy auf. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, seit
er sie im Unterricht an der Uni gesehen hatte. Und doch war es erst an diesem
Nachmittag gewesen. So viel war seither geschehen: David hatte sein Geld
verloren und war in Ungnade gefallen, so daß er wie ein Bettler unter dem Pöbel
von Jerusalem leben mußte. »Ja, ich habe heute Nummer sechs bekommen…«
    »Ist es…«
    Ben schaute hinab auf seine
zitternden Hände. »O Herrgott, was geschieht nur mit mir! Ich kann nicht
glauben, daß mich diese Rollen derart beeinflussen, daß ich solche Reaktionen
zeige. Ich muß mich erst wieder beruhigen.«
    »Warum setzen Sie sich nicht
hin und lassen mich den Kaffee machen?«
    Ben verließ die Küche und kam
ein paar Minuten später mit den losen Blättern zurück, auf die er seine
Übersetzung geschrieben hatte. Stirnrunzelnd betrachtete er sie. »Ich kann mich
nicht erinnern, das hier geschrieben zu haben. Helfen Sie mir doch, Judy! Ich
kann mich nicht erinnern, auch nur ein einziges von diesen Blättern geschrieben
zu haben. Und doch ist dies hier die vollständige Übersetzung von Rolle sechs.«
    Sie nahm ihm die Seiten aus
der Hand und überflog die unregelmäßige, kaum leserliche Handschrift. »Noch nie
bin ich von einer Sache so sehr in Anspruch genommen worden wie von dieser«,
fuhr er fort. »Ich habe mich so sehr hineinvertieft, daß mir nicht einmal
bewußt war, daß ich etwas las. Vielmehr habe ich die geschilderten Ereignisse
tatsächlich erlebt.«
    Sie nahmen ihren Kaffee und
die übersetzten Seiten und gingen zu ihren gewohnten Plätzen auf der Couch.
Judy zog ihre Schuhe aus und machte es sich im Schneidersitz für die lange
Lektüre bequem. Ben beobachtete sie dabei. Er hatte das Gefühl einer gewissen
Sicherheit, wenn sie an seiner Seite war, etwas, das er mit Angie nie verspürt
hatte. Judy Golden besaß die bemerkenswerte Fähigkeit, wirklich zu verstehen,
was er zur Zeit durchmachte, und das brauchte Ben jetzt.
    Während sie las, schwebten
sie beide irgendwo zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Es war ein
unwirklicher Augenblick. Denn in dem Moment, als sich ihre Augen in die von ihm
geschriebenen Worte versenkten, wußte Ben, daß Judy wieder in Jerusalem war.
     
     
    Sie ließ die Blätter in ihren
Schoß fallen, während sie vor sich hin starrte. »Das ist phantastisch… ganz
phantastisch!« flüsterte sie. Ben nahm die Seiten sorgsam an sich und legte sie
auf dem Kaffeetischchen ordentlich zu einem Haufen zusammen. »Sie haben es also
auch gespürt?«
    Judy wandte sich zu ihm um.
Ihre Augen waren weit aufgerissen, und es spiegelten sich darin die Bilder
wieder, die soeben an ihr vorbeigezogen waren. »Ja! Wie könnte man es nicht
spüren? Es ist, als ob die zwischen uns liegenden zweitausend Jahre überhaupt
nicht existierten.«
    »Haben Sie Jerusalem gesehen?
Haben Sie Jerusalem gespürt?« Judy blickte Ben direkt ins Gesicht, und für
einen Moment war in ihren Augen ein verwirrtes Flackern zu erkennen. Zum
erstenmal, seit sie ihn zu Hause besuchte, bemerkte sie eine Veränderung an
ihm. »Was sehen Sie, wenn Sie diese Worte lesen?« fragte sie und beobachtete aufmerksam
sein Gesicht.
    »Dasselbe wie Sie. Die
überfüllten Straßen des alten Jerusalem, die Mauern aus Lehmziegeln und die
aufragenden Gebäude. Ich sehe Fremde in farbenfrohen Gewändern auf dem
geschäftigen Marktplatz. Die feinen Straßen der römischen Oberschicht und das
verwahrloste Armenviertel. Ich höre das Geplapper von vielen Menschen und
rieche die Düfte von tausend Dingen. Ich spüre die Hitze der Sonne

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