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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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anderen umsehen.«
    »Mein Brief muß keinen weiten
Weg zurücklegen«, entgegnete er, »und es ist auch ein sehr kurzer Brief.«
    »Es wird Euch trotzdem einen
Schekel kosten, Meister«, gab ich zurück.
    »Es sei, wie du sagst«,
antwortete er und räusperte sich, um zu diktieren.
    Ich spuckte auf meinen
Tintenstein und tauchte die Spitze meines Schreibrohres hinein. Dann hielt ich
meine Hand, zum Schreiben bereit, über den Papyrus.
    »Dieser Brief geht an meinen
Sohn David, der in Jerusalem lebt«, begann er mit leiser Stimme. »Ich will ihm
sagen: Mein Sohn, ich habe Unrecht getan. Ich war ein eitler und
gotteslästerlicher Mann, indem ich an Gottes Stelle das Urteil sprach. Nicht
mir oblag es, dich zu richten, sondern Gott, und in meinem Stolz tat ich es
dennoch. Ich liebte dich mehr als meine eigenen Söhne, denn du warst
scharfsinnig und zeigtest eine einzigartige Leidenschaft für das Gesetz Gottes.
Ich war ein selbstsüchtiger Mann und dachte nur daran, wie sehr du meinen Namen
mit Ruhm bedecken würdest, wenn du erst einmal als Schriftgelehrter im Tempel
Aufnahme gefunden hättest. Als du die besagten Sünden begingst, faßte ich sie
als eine persönliche Beleidigung auf – und nicht als eine Beleidigung Gottes.
Und dies war ganz falsch. Ich bin ein schwacher, eitler Mensch gewesen und habe
meiner Familie durch meine selbstsüchtige Verbitterung Leid zugefügt. Und durch
meine Entrüstung habe ich dich bewogen, dich vom Tempel fernzuhalten und Gott
den Rücken zu kehren. Nun bitte ich dich, zu mir zurückzukommen, David, und
einem alten Lehrer seinen Stolz nachzusehen.« Verblüfft blickte ich schweigend
zu Eleasar auf. Jetzt, wo er sich gegen die Sonne abhob, erschien er dünner als
zuvor, fast gebrechlich. Seine Stimme bebte; seine Augen waren gen Himmel
gerichtet.
    Als ich den Saum seines
Gewandes küssen wollte, beugte sich Eleasar zu mir herunter und hob mich auf.
Und dann umarmten wir uns, wie es sich für Vater und Sohn gehört. Er war so
schmächtig in meinen Armen und kam mir plötzlich so klein vor. Ich hatte früher
nie auf Eleasars Wuchs geachtet und hatte auch nicht bemerkt, daß ich größer
war als er.
    »Du mußt mit
mir in den Tempel zurückkehren«, sagte er mit Freudentränen in den Augen, »und
wieder mein Schüler sein.« Doch ich entgegnete: »Ich will mit Euch in den
Tempel zurückkehren, Rabbi, aber nur als einfaches Mitglied der Gemeinde, nicht
als Euer Schüler. Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden. Die
Nacht meines fürchterlichen Falls vor sechs Monaten hat mir die Augen geöffnet
und mir gezeigt, daß ich nicht würdig bin, mich einen Schüler des Gesetzes zu
nennen. Ich aß Schweinefleisch und starrte auf die Nacktheit junger Mädchen.
Ich vergaß Gott und das Volk Israel in meiner Gier nach mehr Geld, und dies ist
nicht wiedergutzumachen. Saul ist ein guter Schüler, und er liebt das Gesetz.
Er würde sich niemals die Ruchlosigkeit gestatten, der ich in jener Nacht
verfiel, denn er ist ein stärkerer Mann als ich. Macht ihn zu Eurem besten
Beispiel, Eleasar, denn dies wäre Euer beider würdig.« Wir blieben lange Zeit
so beim Tor stehen und weinten uns an der Schulter des anderen aus. Als wir
später dann nach Hause kamen, war die Freude in seiner Familie und unter den
anderen Schülern groß. Und nachdem ich mir frische Kleider angezogen und die
Füße eines jeden Anwesenden gewaschen hatte, erzählte uns Rabbi Eleasar die
Geschichte vom verlorenen Sohn. Am nächsten Tag sah ich Rebekka.
     
     
    Judy mußte
mehrmals laut klopfen, bevor Ben die Tür öffnete. Er war überrascht, sie zu
sehen.
    »Ist etwas nicht in Ordnung?«
fragte sie. »Geht es Ihnen gut?«
    »Ich… ja, mir geht es prima.«
Er rieb sich die Stirn und blickte finster. »Kann ich irgend etwas für Sie tun?«
    Judy
erschrak, als sie bemerkte, wie verstört er war, wie verkrampft und müde.
    »Sie haben bei mir vor etwa
einer Stunde angerufen und mich gebeten, herzukommen.«
    Er zog seine Augenbrauen
hoch. »Ich?« Ben rieb sich abermals die Stirn. »Ich soll…?«
    »Soll ich hereinkommen?«
    »Oh, natürlich! Aber sicher!«
Er versuchte verzweifelt, seine Gedanken zu ordnen, als sie an ihm vorbei in
die Wohnung ging und die Tür hinter sich schloß. War vor einer Minute nicht
Angie hier gewesen?
    »Wie spät ist es?« fragte er
mit belegter Stimme. »Es ist zehn Uhr, Dr. Messer. Ich kam, so schnell ich
konnte…« Judy sah die dunklen Ringe unter seinen Augen, bemerkte, daß

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