Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
kopflos,
in der Nacht zuvor Salmonides gegeben hatte. Und der Gedanke daran erfüllte
mich mit bitterem Schmerz.
    Wie ich so auf dem
Brunnenrand saß und hinunterblickte, sah ich den Ausweg aus meiner schlimmen
Lage auf seinem trüben Grund. Zu sterben wäre so einfach, so leicht. Da es für
mich ohnehin keinen Sinn mehr hatte, zu leben, würde ich meinem Elend durch den
Tod entrinnen. Und alles, was ich zu tun brauchte, war loszulassen, mich
fallenzulassen…
    Es war die Stimme einer Frau,
die mich davon abhielt weiterzugehen. Sie hatte in der Nähe ihr Wasser
heraufgezogen und war schon abmarschbereit, blieb aber hinter den anderen
zurück, um mich zu beobachten. »Guten Abend, Bruder, geht es dir gut? Du siehst
müde aus«, hörte ich sie sagen.
    Ich warf erst einen
flüchtigen Blick über meine Schulter, um zu sehen, mit wem sie sprach, und da
ich niemanden gewahrte, schaute ich sie überrascht an. Sie war eine ältere
Frau, möglicherweise älter als meine eigene Mutter, und doch noch sehr
stattlich und wohlgekleidet.
    Sie kam näher an mich heran.
»Geht es dir gut?« erkundigte sie sich abermals.
    Dann fiel mir ein, daß ich
eigentlich gar keinen Grund hatte, überrascht zu sein, daß sie mit mir sprach.
Denn schließlich konnte sie ja nichts von meiner Schande wissen. »Es geht mir
nicht gut«, erwiderte ich. »Und ich bin todmüde.«
    »Bist du auch hungrig?« Ihre
Stimme klang gütig. So antwortete ich ihr: »Bevor Ihr Euch meiner erbarmt,
gutes Weib, ist es nur recht und billig, wenn ich Euch vor mir warne. Ich bin
ein schändlicher Kerl, ein von der eigenen Familie Verstoßener. Es gibt keinen
Mann, der mich Freund nennt, und keine Frau, die mich Bruder nennt.«
    Doch sie sprach: »Es
interessiert mich nicht, was du getan hast. Ich sehe nur, daß du müde und
hungrig bist. Wir haben in meinem Haus eine Menge zu essen und einen Platz, wo
du schlafen kannst. Du kannst gerne mit mir kommen.« Ich protestierte ein
zweites Mal: »Ich bin verbannt, gute Frau. Ihr würdet einem Verfluchten Einlaß
in Euer Haus gewähren.«
    Doch sie entgegnete: »Es
obliegt Gott, über dich zu richten, nicht mir.«
    Und ich widersprach ein
drittes Mal: »Würdet Ihr eine Giftschlange mit nach Hause nehmen?«
    Und da lächelte sie und
meinte: »Selbst die Giftschlange sucht ihre Opfer nicht unter ihren
Artgenossen.«
    Zu matt, um noch weiter zu
streiten, und verlockt durch die Aussicht auf Essen, begleitete ich die Frau
nach Hause. Dort traf ich mehrere Leute, die mich als einen der Ihren aufnahmen
und das Brot mit mir brachen. Sie waren fromme Juden, die makellos weiße
Gewänder und Gebetsriemen an Stirn und Arm trugen. An diesem Abend bekam ich
eine Matratze zum Schlafen und das Angebot, so lange zu bleiben, wie ich
wollte.
    Aber nach kurzer Zeit
beschloß ich, Miriams Haus – so hieß die gute Frau – wieder zu verlassen, denn
seine Bewohner waren ehrwürdige Leute, die beteten, bis ihre Knie gefühllos
wurden. Ich spürte, daß meine Gegenwart sie befleckte. Nicht ein einziges Mal
versuchten sie herauszufinden, welch schändliche Tat ich begangen hätte. Auch
behandelten sie mich in keiner Weise als Fremden, sondern schienen nur um meine
Gesundheit besorgt zu sein. Als ich ihnen zwei Tage später meinen Abschied
ankündigte, stellten sie mir keine Fragen. Statt dessen gaben sie mir ihren
Segen und steckten mir ein paar Schekel in den Beutel.
    So schöpfte ich Mut, um ein
neues Leben zu beginnen, denn nun zog ich Selbstmord nicht mehr in Betracht.
Obgleich ich mich nicht im geringsten als würdig erachtete, vor das Angesicht
Gottes zu treten oder auch nur unter Juden zu leben, hatten mir die Ruhe und
das gute Essen die Kraft und Entschlossenheit verliehen, meiner unsicheren
Zukunft entgegenzusehen.
    An dem Tag, als ich Miriams
Haus verließ, hatte ich einen Einfall. Mit einem Schekel kaufte ich ein
frisches Papyrusblatt und ging damit auf den Marktplatz. Dort breitete ich
meinen Umhang auf dem Boden aus, setzte mich darauf und verkündete den
Vorbeigehenden lauthals, daß ich ein Briefeschreiber sei. Der Lohn war mager
und die Stunden des Dasitzens lang und mühsam. Doch war dies die einzige Art
und Weise, wie ich nach meiner Verbannung aus Eleasars Haus in Jerusalem
überleben konnte. Mit Miriams Schekeln kaufte ich Papyri, und aufgrund meiner
Bildung konnte ich Briefe schreiben. So war ich in den darauffolgenden Wochen
imstande, in einem nahen Gasthaus ein Zimmer anzumieten und mir jeden Tag eine
Mahlzeit zu leisten.
    Und

Weitere Kostenlose Bücher