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Der Fluch der Totenleserin totenleserin4

Der Fluch der Totenleserin totenleserin4

Titel: Der Fluch der Totenleserin totenleserin4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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gekommen. Es war klar, dass er tatsächlich nach Scarry Ausschau halten wollte, der sich, bereit zum Angriff, unter die Menge gemischt haben mochte. Für den Araber besaß der Mörder längst übermenschliche Fähigkeiten.
    »Ihr seid ein solcher Riesen«, hatte Ulf darauf gesagt. »Wenn er tatsächlich in der Menge ist, wird er Euch gleich erkennen. Warum lauft Ihr nicht gleich mit einer Glocke nebenher und ruft lauthals: ›Macht Platz für Lady Adelia?‹«
    »Das werde ich nicht«, sagte Mansur. »ich gehe auch verschleiert.« Das war nicht ungewöhnlich. Viele Araber, besonders die Strenggläubigen, trugen einen Tagelmust, einen Gesichtsschleier, der den unteren Teil des Gesichts bedeckte.
    »Lasst ihn!«, sagte Adelia am Ende. »Das hält den Staub von seiner Nase fern.«
    Staub hatte es viel gegeben, aber keinen Scarry. Adelia hatte durch die Vorhänge ihrer Sänfte zu Mansur hinausgesehen, der wie eine aufmerksamer Tuareg neben ihr herlief, und ihr war aufs Neue bewusst geworden, dass sie ihren Garten Eden verlassen hatten und in die Welt voller Argwohn und Angst zurückgekehrt waren.
    Aber während Mansur, ihre Eltern und Ulf die größte Bedrohung in Scarry sahen, sorgte sich Adelia noch mehr wegen einer weiter greifenden, umfassenderen Gefahr, die hier und heute in der Kathedrale sichtbar und zusätzlich befördert wurde. Die Hochzeit war eine ganz und gar römisch-katholische Veranstaltung, es gab kaum Rabbis unter den versammelten, noch weniger griechisch-orthodoxe Geistliche, und neben Mansur waren nur vereinzelt Muslime in ihren Gewändern zu sehen.
    Ja, es ist eine christliche Zeremonie und muss es auch sein. Aber sie spiegelt nicht wider, wofür Sizilien steht, dachte Adelia. Warum lässt William das zu und beugt sich einem Druck, der unter seinem Vater und seinem Großvater nicht möglich gewesen wäre?
    Der König machte ihr Sorgen. Sie hatte ihn nach ihrem kurzen Zusammentreffen nicht wieder zu Gesicht bekommen, was auch nicht zu erwarten gewesen war, aber Mansur hatte berichtet, worüber die Eunuchen im Palast redeten, und das war nicht ermutigend.
    »Sie sagen, er verbringt zu viel Zeit im Harem.«
    »Er ist beliebt bei seinem Volk«, hatte sie gesagt.
    »Weil er schön und charmant ist. Und weil sein Land eine Zeit des Friedens erlebt. Aber er tut nichts, um ihn zu erhalten, und die Leute haben Angst. Sie sagen, er ist schwach. Die normannischen Feudalherren schleichen sich ein und bringen ihre Kirche mit.«
    Und dann hatte Mansur sie überrascht. »Unser König würde denen einen Tritt in den Hintern verpassen«, sagte er.
    Unser
König.
    »Lieber Gott«, hatte sie nach einer kurzen Pause geseufzt, »Mansur, wir sind Engländer geworden.«
    Adelia sah an den schlanken sarazenischen Säulen entlang nach Osten, am Hochaltar vorbei zum Presbyterium und Apsiswand mit ihren Propheten, Heiligen und Cherubim, schließlich hinauf zu dem großen Mosaik, das alles überragte.
    Von dem der Gott der Christen auf sie herabsah.
    Und wenn es nicht das Antlitz Gottes war, so zeigte das Bild doch den Menschen in seiner besten, entwickeltsten Form. Mit unzähligen winzigen Steinplättchen hatte der byzantinische Künstler, ein wahres Genie, dem das Mosaik zu verdanken war, Stärke, Liebe und Zärtlichkeit eingefangen, um dem Pantokrator, dem Weltenherrscher, den er verzehrte, Leben einzuhauchen. Und er huldigte ihm zu recht, denn es war ein Herrscher für alle, der Mann, Frau und Kind mit einer Leidenschaft an sich zu drücken vermochte, die Hautfarbe und Glauben außer acht ließen.
    Adelia sah in die dunklen, tief liegenden Augen, die ihren Blick erwiderten. Lass es nicht zu, dass sie Dich ändern. Lass es nicht zu.
    Trompeten erschallten, und sie musste sich abwenden, weil sich die Menge im Kirchenschiff teilte und der Prozession von Prinzen, Erzbischöfen, Bischöfen und Botschaftern auf ihrem Weg zum Chorgestühl Platz machte.
    Für sie gab es da nur einen.
    Rowley schien sich unbehaglich zu fühlen, wie er es immer tat, wenn er im vollen Ornat war. Die Mitra hatte nie richtig zu ihm passen wollen.
    Liebe durchströmte Adelia. Sie hatte nie aufgehört, ihn zu lieben. Nur ein schäbiger, unwürdiger kleiner Groll hatte sie davon abgehalten, gleich zu ihm zu eilen, nachdem sie in Palermo angekommen waren. Als sie ihn jetzt so sah, war es ihr mit einem Mal nicht mehr wichtig, dass ihn sein Pflicht von ihr weggeführt und er sie der Obhut eines anderen Mannes überlassen hatte. Es
gab
keinen anderen Mann.

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