Der Fluch des Andvari (German Edition)
auch.“
Wolff unterstreicht den Befehl mit einem Wink seiner Pistole. Neumann und die Studenten haben keine Wahl. Mit vereinten Kräften schieben sie den Deckel zur Seite. Stein reibt auf Stein. Das Innere der Sargwanne wird mehr und mehr sichtbar.
„Stopp“, ruft Wolff.
Der Deckel liegt nun quer auf dem unteren Teil des Sarkophags, der obere Teil ist völlig frei. Ungeachtet der bedrohlichen Situation leuchtet der Professor mit seiner Fackel, späht über den Rand der Wanne hinweg. Der ungewöhnlich gut erhaltene Körper einer Frau zeigt sich, über und über mit Blumen bedeckt. Es sind vermutlich Rosen gewesen, Dornen zeigen sich an den versteinert wirkenden Stilen. Ein violettes Gewand, mit Goldbändern durchwirkt und mit Amuletten besetzt, schimmert im Fackelschein. Ein breiter, goldener Gürtel umschließt die Taille der Frau. Den Kopf bedeckt eine kranzähnliche Krone aus Metall, die mit Edelsteinen besetzt ist. Die Haut im Gesicht ist noch vollständig erhalten, aber eingefallen und lederartig. Selbst das lange blonde Haar ist noch vorhanden. Die Hände der Frau zeigen auch nur geringe Verwesungsspuren, ebenso ihre Füße, die in goldbestickten Sandalen stecken. Ihre Knöchel sind mit einem dünnen Strick gefesselt. Dennoch sind seit ihrem Tod bereits eineinhalb Jahrtausende vergangen.
„Phantastisch“, murmelt Wolff.
„Als wäre sie erst vor kurzem bestattet worden“, fügt Meier hinzu. „Nicht ein Knochen liegt frei.“
Ein ungutes Gefühl beschleicht den Professor. Den Burgundern war der Akt der Mumifizierung nicht bekannt. Liegt es an den Besonderheiten dieses Ortes? Oder der Luftzusammensetzung? Er versucht, eine rationale Erklärung zu finden, denn er will nicht an den Gedanken glauben, der ihm spontan durch den Kopf geht. Dennoch - dieser Leichnam wirkt auf eine seltsame Art lebendig. Ist die mystische Geschichte, die ihm sein Vater erzählte und die er in den altgermanischen Texten wiedergefunden hat, doch wahr? Die Fußfessel ist ein nordischer Brauch, der Untote an den Sarg binden sollte. Ist es gar nicht Kriemhilds Grab, sondern das von Brünhild? Brünhild war die Gemahlin König Gunthers, deren Hand er durch Betrug gewonnen hatte, und die Person, an der sich aller Streit um Siegfried entzündet und letztendlich den Untergang des rheinischen Burgunderreichs bedeutet hatte. Sollte er tatsächlich Brünhilds Grab gefunden haben, das seit Jahrhunderten verschollen ist? Sollte sich das Drama, das sich vor fast 1500 Jahren ereignete, wiederholen?
„Jetzt geben Sie mir den Ring, Professor“, befiehlt Wolff.
Abwartend starrt Neumann den Hünen an, in dessen Augen wilde Entschlossenheit aufblitzt.
„Den Ring“, fordert Wolff, „geben Sie mir den Ring.“
„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“
„Ich spreche von dem Ring, den Sie in Budapest erstanden haben.“ Drohend richtet er seine Pistole auf ihn. „Entweder Sie geben mir den Ring oder …“
Der Professor gibt nach. „Lassen Sie meine Studenten gehen, dann gebe ich Ihnen den Ring.“ Hastig nimmt er das Schmuckstück aus seinem Jackett hervor. „Hier ist der Ring. Aber ich warne Sie, Wolff. Sie haben nicht die geringste Ahnung, auf was Sie sich da einlassen.“
„Da irren Sie sich, Professor“, entgegnet er ernst. „Der Schatz der Nibelungen wird mich reich und mächtig machen. Die Welt wird mir gehören.“
„Sie sind wahnsinnig, Wolff. Der Fluch wird uns alle töten.“
Wolff lacht schallend auf. „Der Fluch … das ist alles nur ein Ammenmärchen.“
Dann gibt er Meier einen Wink. Der Student nimmt dem Professor den Ring ab und reicht ihn Wolff voller Stolz. Atemlos betrachtet der Hüne das Schmuckstück, während er es zwischen seinen Fingern hin- und hergleiten lässt. Der Ring der Nibelungen – der Ring der Macht.
„Jetzt schafft mir das Grünzeug weg!“, wendet sich Wolff an seine Männer.
„Nein, tun Sie es nicht!“, begehrt der Professor erneut auf, stellt sich schützend vor den Sarkophag.
„Scheren Sie sich zur Seite!“
Wolffs Männer drängen den Professor und die Studenten zurück. Dann entfernen sie die vertrockneten Rosensträucher aus dem Sarkophag, lösen dabei unbewusst den losen Strick von den Fußgelenken der Frau. Mehrmals fluchen sie, als sie sich an den Dornen stechen. Begierig streicht Wolff mit seinen Fingern über die goldenen Amulette und den breiten Gürtel.
„Was machen wir jetzt mit dem Ring?“, fragt Meier.
„Er wird uns zu dem Gold führen“, frohlockt
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