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Der Fluch des Andvari (German Edition)

Der Fluch des Andvari (German Edition)

Titel: Der Fluch des Andvari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas W. Krüger
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würde, sie mit einem seiner führenden Mitarbeiter zu verheiraten und das Unternehmen damit in sicheren Händen zu wissen. Doch eine ernsthafte Beziehung war derzeit kein Thema für Hannah. Zu sehr hatte ihr Exmann sie betrogen und verletzt. Julia war ihr ganzer Halt, auch wenn sie mitunter richtig zickig sein konnte. Aber in der Regel verstanden sie sich gut, Mutter und Tochter hatten gegenseitiges Verständnis für die Träume und Sorgen des anderen.
    Freudig wählte Hannah die Nummer in Hamburg, sprach kurz mit ihrer Mutter, bis ihre Tochter ans Telefon kam. Diese Trennung war keine neue Erfahrung. Julia fühlte sich wohl bei ihren Großeltern, aber sie vermisste ihre Mutter schon, wenngleich sie in Mainz nachmittags nach der Schule auch oft allein war. Sie telefonierten fast eine Stunde miteinander.
    Leichte Müdigkeit kroch jetzt in Hannah hoch, sie gähnte. Aber es war noch zu früh, um schlafen zu gehen. Gedankenversunken lehnte sie sich auf das Sofa zurück. Dabei träumte sie mit offenen Augen, ließ sich hineinfallen in die Welt der Nibelungen, in die Geschichte des Manuskripts, das sie zur Zeit bearbeitete, sah König Gunther von Burgund, seine Gemahlin Brünhild und Siegfried, den Drachentöter.

    Blitze zuckten durch die Nacht, erhellten Gelände und Gebäude der Mainzer Zitadelle für Sekunden. Donner grollte. Nieselregen tauchte alles in einen feuchten Schleier. Pfützen zogen sich über die Wege. Wind strich durch die Bäume, ließ die Blätter rascheln. Im Südteil, hinter den Verwaltungsgebäuden, hatten sich etwa zwei Dutzend Männer auf der nassen Wiese versammelt. Alle trugen sie graue Kutten, die Kapuzen verdeckten ihre Gesichter. In den Händen hielten sie Fackeln, die die Szenerie gespenstisch beleuchteten. Die Männer blickten zum Wall, in den ein kleiner, steinerner Bau eingebettet war. Er glich einer offenen Kapelle und war etwas erhöht erbaut worden. Am Zugang stand ein hölzerner Altar, der mit einem dicken, roten Tuch überzogen war. Mehrere Runenzeichen waren mit schwarzer Farbe auf den Stoff gemalt. An den vier Ecken des Opfertisches erhoben sich dünne Stangen, auf die jeweils ein Totenschädel aufgespießt war. Ein Mann mit einem dichten, roten Bart wartete stumm hinter dem Altar. Ein riesiger Helm mit zwei Hörnern verlieh ihm ein Furcht einflößendes Aussehen. Sein nackter Oberkörper war schwarz bemalt. Mit seinen großen blauen Augen betrachtete er aufmerksam das Geschehen.
    Eine Prozession marschierte gemessenen Schrittes an den Verwaltungsgebäuden vorbei. Es waren mehrere Fackelträger in pechschwarzen Kutten. In ihrer Mitte führten sie eine junge Frau mit sich. Die Brünette wirkte wie paralysiert, ihre Augen starrten ins Leere. Angeführt wurde die Gruppe von einem Mann in einem Bärenfell und geschwärztem Gesicht. Er trug einen kleinen, mit Gold beschlagenen Kasten in Händen. Alle Blicke richteten sich auf ihn, wie er sich dem Altar näherte, durch das Spalier der grauen Kuttenträger schritt.
    Als er den Altar schließlich erreicht hatte, grüßte er den Mann mit den Hörnern ehrfurchtsvoll: „Heil dir, Thor. Gelobt sei unsere Königin.“
    „Willkommen, Loki. Bote der Götter.“
    Der Mann im Bärenfell stellte den goldenen Kasten auf das Kopfende des Altars. Leise gemurmelte Worte kamen dabei über seine Lippen.
    „Nun macht euch bereit, Brüder des Andvari“, befahl Thor. „Das Fest möge beginnen.“ Dann klatschte er zweimal in die Hände. „Bringt unsere Gabe herbei. Die Gabe für unsere Königin.“
    Ein Donnergrollen unterstrich seine Aufforderung. Zwei Männer packten die apathische Frau und zogen sie zum Altar. Die umstehenden Männer begannen, seicht mit den Händen zu klatschten. Ein freudiger Jubelschrei mischte sich ab und an darunter. Die Opferbraut wurde willkommen geheißen.
    „Bettet sie zu Ehren unserer Königin“, sprach Thor.
    Die Männer legten die Brünette auf den Altartisch und banden ihr die Hand- und Fußgelenke an die vorgesehenen Eisenringe. Tiefer, melancholischer Gesang ging nun von den Anwesenden aus. Sorgfältig ordnete Thor das beige Gewand der Frau, die alles willenlos mit sich geschehen ließ.
    Loki öffnete den goldenen Kasten, klappte die Seiten auseinander. Ein purpurnes Samtkissen mit einem goldenen Kelch und einem Dolch obenauf zeigte sich. Ehrerbietig hob er das Kissen an und reckte es Thor entgegen. „Für unsere Königin.“
    „Die Stunde der Erneuerung ist gekommen“, entgegnete Thor. „Das Leben trotzt dem

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