Der Fluch des Blutes
dem heiligen Tempel
Lilith Eden fühlte sich gefangen und verdammt in einem. Gefangen in einem Alptraum - - und verdammt zu einem Leben, das ihr zu führen widerstrebte!
Aber es gab nichts, was sie dagegen hätte tun können. Denn dieser Alptraum war ihr Leben!
Landru hatte sie nach Hause gebracht, heim in den Schoß ihrer Familie, und Liliths ursprüngliche Zweifel waren mittlerweile mehr und mehr der Überzeugung gewichen, daß ihr Gefährte die Wahrheit sprach: daß diese Stadt und das Land ringsum in der Tat ihrer beider Reich und daß die Herrscher darin ihrer beider Kinder waren.
Auch an der Tatsache, daß sie eine Vampirin war, zweifelte sie nicht mehr. Der Blutdurst und die Erkenntnis, daß schwarzes Blut in ihren Adern floß, waren ihr Beweis genug gewesen.
Daß sie aber von der gleichen Grausamkeit beseelt sein sollte wie Landru und ihre acht Kinder .?
Lilith sah sich außerstande, zu tun, was Landru von ihr verlangt hatte:
Schneide ihr das Herz aus der Brust...!
Seine Worte, tatsächlich längst verklungen, hallten Lilith noch immer im Ohr. Die gespannten Blicke all jener, die sich zu der barbarischen Opferzeremonie auf der Spitze der Tempelpyramide versammelt hatten, stachen kalten Klingen gleich auf ihrer Haut.
Widerstrebend sah Lilith zu dem Ritualdolch auf, den sie mit beiden Händen hoch über dem Kopf erhoben hielt, zu einem Stoß, den zu führen sie nicht imstande war. Aber fast schien es, als wolle die Waffe selbst ihr die Entscheidung abnehmen. Der schwere Dolch bebte in Liliths Griff wie von eigenem Leben erfüllt, die Klinge senkte sich langsam nieder, und schon zitterte die Spitze dicht über Li-liths Augenhöhe, an einen erstarrten, lichtlosen Blitz erinnernd, der alle Anstrengungen unternahm, um aus seinem unsichtbaren Kerker auszubrechen - - um endlich zu verrichten, weswegen er Lilith in die Hand gegeben worden war: Um das Herz aus der Brust jenes Mädchens herauszutrennen, das nackt vor Lilith auf dem Opferstein lag!
Die junge Indio-Frau selbst schien mit ihrem Schicksal nicht im Geringsten zu hadern. Ihre hübschen Züge zeigten keine Spur von Angst, allenfalls lag schon der Schatten des Todes darüber und malte sie grau, was jedoch eine Illusion sein mochte, denn inmitten der grellbunten Körperbemalung mußte jeder natürliche Hautton verblassen und bleich aussehen.
Trotzdem kam es Lilith vor, als hätte das Mädchen sich dem Tod längst schon ergeben und sehne ihn nun herbei, ungeachtet der Schmerzen, die es bedeuten mußte. Der Blick des Opfers hing in einer geradezu befremdlichen Weise an der Klinge des Dolches - als wäre es der Geliebte, der dem Mädchen neckisch noch den Kuß verweigerte.
»Warum zögerst du?« Landrus Stimme löste die fast schon schmerzhafte Verkrampfung, in die Lilith verfallen war. Keuchend entließ sie den angestauten Atem aus ihren Lungen.
»Tu's endlich«, forderte Landru. »Stoß zu!«
Lilith wollte es noch immer nicht, aber ihre Hände schienen ihr nicht länger zu gehorchen. Ihre Fäuste, die den Dolch umfaßten, senkten sich tiefer, ruckartig - - und kamen doch zwei Handbreiten über der Brust des Mädchens erneut zur Ruhe, bebend, als hätte Lilith die Klinge in unsichtbares Holz getrieben.
Fast meinte sie, etwas wie Enttäuschung im Gesicht des Mädchens zu sehen, und hastig wandte sie den Blick, weil diese Regung sie ab -stieß.
Die Spannung um Lilith her war beinahe zu spüren. Als erfülle sie die Luft knisternd mit Elektrizität. Die Gestalten in den aufwendig gearbeiteten Zeremoniengewändern standen starr, ihre Augen, unsichtbar hinter dämonischen Masken, fixierten Lilith.
Eine Anzahl weiterer Beobachter, nicht maskiert und in weniger edler Kleidung, standen etwas abseits des engen Kreises, den die Vampire um Lilith herum bildeten: Angehörige der Priesterschaft, deren Aufgabe Lilith noch schleierhaft war.
Jetzt traten die Vampire wie auf ein geheimes Zeichen einen Schritt vor, als wollten sie Lilith Eden mit ihrer Nähe drängen, endlich zu tun, was alle von ihr erwarteten.
Ein Willkommensritual sollte diese Opferung sein, hatte Landru ihr zuvor gesagt, eine besondere Ehrerbietung der Kinder ihrer Mutter gegenüber.
Darauf wollte Lilith gerne verzichten.
Ihr Blick ging über das Plateau der Pyramidenspitze hinaus und über die beeindruckenden Bauten des Tempelbezirks hinweg, hinauf zur dunklen Scheibe der nächtlichen Sonne, deren Dämmerlicht alles in Schatten wob - - alles, was Lilith nach wie vor so fremd war, als
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