Der Fluch des Blutes
einem baktun 3 tatsächlich erfahren haben mochte - vor dem tödlichen Trunk aus dem Kelch, als er noch ein Kind unter vielen gewesen war, Sohn einer Familie, seiner leiblichen Familie ...
Nachdem Chiquel in der Zwischenzeit gelernt hatte, sich mit den Schmerzen zu arrangieren - die Erfahrungen aus den Selbstkasteiungen, die er sich mehr oder minder regelmäßig auferlegte, waren ihm dabei von Nutzen -, machte er nun ein bis dato unbekanntes (oder wenigstens lange vergessenes) Gefühl in sich aus. Er kannte keinen Namen dafür - aber als Mensch hätte er es wohl Dankbarkeit genannt. Dankbarkeit für jene Frau, die wie eine Mutter für ihn eingetreten war und sich um ihn bemüht hatte.
Daß sie vom Rande seiner Lagerstatt verschwunden war, wurde Chiquel nicht gleich bewußt. Immer wieder versetzte er sich in einen tranceartigen Zustand, wo der Schmerz ihm weniger anhaben konnte als bei vollem Bewußtsein, und als er wieder einmal daraus erwachte, fand er den Platz an seinem Bett leer.
Unter Mühen richtete sich der geschundene Vampir auf und sah sich im Raum um. Niemand war zu sehen, nichts zu hören.
»Mutter?« kam es fast unbewußt und kaum verständlich über Chi-quels geschwollene Lippen. Die Zunge lag ihm wie fremd oder beinah schon tot im Munde.
Wo mochte »Mutter« hin sein? Warum hatte sie ihn verlassen?
Der Vampir verspürte etwas wie vagen Schmerz in seiner Brust, der allerdings nicht von dem herrührte, was sein Vater ihm angetan hatte.
Der Wunsch, »Mutter« wiederzufinden und zurückzuholen, wurde übermächtig in Chiquel, und so machte er sich auf die Suche nach ihr.
Ohne indes sein Lager zu verlassen.
Er tat es auf jene Weise, die er und seine Geschwister die fremde Sicht nannten.
Jeder Mensch, der in Mayab lebte - gleich ob der Priesterschaft oder dem gewöhnlichen Volke angehörig -, war von den Herrschern initiiert; sie alle trugen den Keim der Vampire in sich, und so bestand etwas wie ein magisches Band zwischen ihnen. Und mittels dieser Verbindung war es Chiquel und seinen Blutgeschwistern möglich, zu sehen, was die Menschen sahen - so hatten sie letztlich die völlige Kontrolle über ihr Volk inne.
Auf diesem Wege hielt nun also auch Chiquel Ausschau nach »Mutter«. Freilich hatte er nicht gleich Erfolg damit, aber rasch stellte er fest, daß irgend etwas auf der Spitze der Tempelpyramide vonstatten ging, denn viele Augen, durch die er schaute, waren dort hinauf gerichtet.
Schließlich tauchte Chiquel mental in eine der Personen ein, die sich auf der stumpfen Pyramidenspitze befanden.
Am Opferaltar geschah - etwas augenscheinlich Bedeutsames .
Erneut wechselte der Vampir die fremde Sicht und - Es mochte Zufall sein, vielleicht aber hatte auch eine andere Macht ihre Hand im Spiel - jedenfalls sah Chiquel als nächstes durch die Augen einer noch jungen Priesterin namens . Merida!
Und ihre Sicht der Dinge genügte dem Vampir, um zu wissen, was sich da abspielte - - in welche Situation seine »Mutter« getrieben worden war!
Gerade eben schien sie sich zu dem zu zwingen, was ihr unübersehbar zuwider war - Chiquel dachte nicht lange nach, sondern reagierte wie automatisch. Dies war seine Chance, sich zu revanchieren für das, was seine »Mutter« für ihn getan hatte.
Ganz gleich, welche Konsequenzen ihm daraus erwüchsen, Chi-quel handelte!
Er zwang seinen gepeinigten Leib in die Metamorphose.
Was sich sonst stets rasch und kaum spürbar vollzogen hatte, als wären Fleisch und Knochen für den Moment weich und formbar wie Wachs, schien nun endlos zu dauern und fachte den Schmerz, der ohnedies noch in Chiquel wütete, zu alter Stärke an. Es war, als bestünde sein Körper aus getrocknetem Lehm, den er nun mit seines Geistes Kraft in neue Form zu bringen hatte.
Der Vampir schrie auf, weil der Schmerz selbst für ihn, dessen Wesen die Natur verhöhnte, kaum mehr erträglich war.
Doch dann, endlich, verstummte sein Schrei. Weil er überging in den lautlosen einer Fledermaus, die sich unter Mühen aufschwang und mit ungelenken Flügelschlägen der Tempelpyramide zustrebte.
*
Liliths Fäuste rasten herab. Blind führte sie den Dolchstoß nach der Brust des Mädchens. Gleich mußte die Spitze des schwarzen Dolches das Fleisch zerteilen und .
Doch die Dinge nahmen eine andere, gänzlich unerwartete Wendung!
Mehreres geschah gleichzeitig.
Lilith hörte Landru zornig aufschreien. Die Vampire und Priester, die das Ritual beobachteten, schienen nicht minder überrascht und
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