Der Fluch des Denver Kristoff
ihre kleine Schwester. Eine heiße Träne tropfte auf ihren Arm. »Es tut mir leid, dass ich so gemein zu dir war«, entschuldigte sich Cordelia. »Dass du nicht lesen kannst … das ist nicht wahr. Ich weiß, dass du es kannst, und eines Tages wirst du eine großartige Leserin sein.«
Eleanor nickte.
»Glaubst du mir?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.«
»Mir sollst du glauben.«
Cordelia nahm Eleanor in den Arm. Wir müssen endlich von diesem Schiff runter, es macht uns kaputt. Wir werden alles verlieren.
Will räusperte sich. »Brendan geht’s gut. Er hat einen schweren Schlag abbekommen, aber ich habe schon Schlimmeres gesehen.«
»Es ist alles meine Schuld«, sagte Cordelia. »Du solltest mich wieder in den Schweinestall einsperren.«
»Unsinn. Schuld daran bist nicht du, sondern das hier.« Will hob das Buch des Verlangens und Verderbens auf. Eigentlich wollte er es so schnell wie möglich loswerden, doch als er es in der Hand hatte, dachte er auf einmal, vielleicht sollte ich wenigstens einen kurzen Blick …
»Will! Was tust du da?«, fragte Cordelia warnend.
»Ach nicht … nichts!«, sagte Will, als er merkte, dass er das Buch immer noch festhielt. »Ich wollte es nur ins Meer werfen.«
»Vergiss nicht, dass du zwischen uns und dem Meer gerade eine Mauer errichtet hast.«
»Oh ja. Viribus fenerat ipsa terra!« Die Mauer löste sich in Luft auf und dahinter kam wieder das zerbrochene Fenster zum Vorschein. Draußen auf dem Meer schaukelte im hellen Mondlicht die Villa Kristoff, die immer noch mit der Muräne vertäut war. Allerdings lag das Haus mittlerweile bis zum Dach unter Wasser, nur der Schornstein ragte noch aus den Wellen hervor.
Will schleuderte das Buch in hohem Bogen aus dem Fenster.
Wie einfach es ist, dachte Cordelia erstaunt. Das ganze Chaos, die ganzen Kämpfe – alles konnte man beenden, indem man das Buch einfach wegwarf wie einen benutzten Pappbecher oder eine leere Thunfischdose.
Während es noch durch die Luft segelte, klappte das Buch auf, die Seiten flatterten im Wind … bis es von einer kurzen, kräftigen Böe erfasst wurde und in den Schornstein der Villa hineinfiel.
»Irre!«, sagte Eleanor. »Genau in den Schornstein getroffen. Das könnte nicht mal ein Basketballprofi wie LeBron James nachmachen!«
Cordelia schüttelte den Kopf. »Ganz weg ist das Buch nicht. Es liegt irgendwo da drin, sicher und trocken, und wartet nur auf sein nächstes Opfer. Jetzt, da ich es aufgeschlagen habe, will es nicht mehr weg.«
»Du hast es aufgeschlagen?«, fragte Eleanor neugierig. »Und was ist dann passiert?«
»Ich erinnere mich nicht mehr genau«, sagte Cordelia. »Es war wie ein Traum, sehr schön, aber der Inhalt besteht nur aus leeren Seiten.«
»Man konnte sehen, wie ihr Gesicht sich plötzlich verwandelte«, ergänzte Will, »und nicht gerade zum Besseren.«
»Was hast du da eigentlich in der Hand, Deli?«, fragte Eleanor.
Cordelia sah auf den kleinen Zettel, den die Windfurie ihr gegeben hatte. Sie faltete ihn auseinander und las: »›Dahlia Kristoff wird in der Lage sein, das Buch des Verlangens und Verderbens zu öffnen . ‹ – Das ist alles.«
»Mehr steht nicht drauf?«, fragte Will. »Was soll das sein, ein Wunsch?«
»Vielleicht ist das die Macht, die das Buch besitzt«, sagte Cordelia. »Wenn man es aufschlägt und einen Wunsch hineinlegt …«
» … wird er wahr «, beendete Eleanor flüsternd den Satz.
64
E inen Augenblick dachten Cordelia, Eleanor und Will darüber nach, was das bedeutete. Ein Buch, das alle Wünsche wahr werden ließ, die man zwischen seine Seiten legte . Es wäre das mächtigste Buch aller Zeiten. Es könnte Menschen zu Göttern machen.
»Wir sollten dieses Buch ganz schnell vergessen«, sagte Will. »Wir werden nie herausfinden, ob es wirklich funktioniert. Am besten, wir halten uns alle vom Schornstein der Villa fern. Wenn wir morgen das Festland erreichen, werden wir das ganze Haus niederreißen und das Buch verbrennen lassen. Aber jetzt … will ich doch mal sehen, ob ich für Brendan nicht irgendwo Riechsalz finde.« In der Tür drehte Will sich noch einmal um. »Übrigens, Cordelia … Es tut mir ehrlich leid, ich hätte dich niemals einsperren dürfen.«
Cordelia sah erstaunt auf, aus seinen Augen sprachen Wärme und Freundlichkeit. »Entschuldigung angenommen! Und ich verspreche, mich nicht wieder verhexen zu lassen.«
Wie nicht anders zu erwarten, stanken die Riechsalze, die sie auf der Muräne
Weitere Kostenlose Bücher