Der Fluch des Denver Kristoff
Spielen gut gegen Schmerz. Wie nennt man das? Tetra-peutisch?«
»Therapeutisch.«
»Sag ich doch.«
»Geben Sie das her!« Cordelia riss Will die PSP aus der Hand und schaltete sie aus.
»Verzeihung!«
»Bren, du solltest lieber die Batterien schonen.«
»Warum?«
»Weil wir sie vielleicht noch brauchen. Wie fühlen Sie sich, Will? Glauben Sie immer noch, dass Sie in Frankreich sind?«
»Ich bin nicht sicher, wo ich mich befinde, Miss Walker.«
»Ich fürchte, ich weiß es.«
Sie schlug Denver Kristoffs Roman Die wilden Horden auf Seite siebzehn auf.
»Hört mal zu: ›In dem Moment brachen sie aus dem Wald hervor, sieben an der Zahl. Alle von edler Abstammung, aber der Lauf der Zeit und ihr wildes Temperament hatten sie zu heimatlosen Mördern gemacht. In gepanzerten Rüstungen aus einem Guss und auf mächtigen Streitrössern kamen sie angeritten. Sie nannten sich selbst Die wilden Horden und lebten einzig und allein, um Chaos und Schrecken zu verbreiten, zu brandschatzen und zu plündern. Die Männer töteten sie sofort und die Frauen … auf besonders grausame Weise.‹ Erinnert euch das an jemanden?«
»Na klar, das sind doch die Kerle, die uns fast umgebracht hätten!«, sagte Brendan.
»Das ist noch nicht alles. Ich wusste gleich, dass mir diese Krieger irgendwie bekannt vorkommen. Jetzt ratet mal, wie ihr Anführer im Buch heißt … Slayne.«
»So wie der Kerl, dem ich das Gesicht zerschnitten habe!«, rief Eleanor aus.
»Ist euch klar, was das heißt? Wir sind in einem Roman von Denver Kristoff gefangen.«
»Das ist der Schriftsteller, der dieses Haus gebaut hat«, klärte Brendan Will auf. »Mensch Deli, darauf hättest du doch schon viel eher kommen können! Du hast das Buch doch gelesen, oder etwa nicht?«
»Quergelesen, Bren, okay? Ich hab’s quergelesen! Ich habe schließlich noch andere Bücher zu lesen.«
»Das ist doch absurd«, sagte Will. »In einem Roman gefangen, wo gibt’s denn so was!«
Wortlos reichte Cordelia ihm ein weiteres Buch.
»Der Teufelsflieger«, las Will. »Was soll ich damit?«
»Lesen. Laut vorlesen.«
Will schlug die erste Seite auf. »›Er sollte einmal zu den Unerschrockensten zählen, aber als er am 22. April 1916 den Luftlandeplatz von Farnborough überquerte, war Offiziersanwärter Will Draper nichts weiter als ein Junge, der fliegen wollte.‹ Moment mal! Worum geht’s hier eigentlich?«
»Ähm … um Sie?«, sagte Cordelia.
Will las weiter: »›Bevor er das Flugzeug bestieg, zog Offiziersanwärter Draper einen silbernen Flachmann aus seiner Hosentasche. Er nahm einen tiefen Schluck und betrachtete nachdenklich die Gravur auf der Flasche, Per Ardua ad Astra. Er erinnerte sich an den Tag, als sein Bruder Edgar sie ihm geschenkt hatte …‹«
Will stockte die Stimme und er ließ das Buch fallen, als hätte es ihm die Finger verbrannt. Brendan tippte auf den Schriftzug auf der silbernen Flasche, die neben Will auf dem Tisch lag.
» Was steht denn da?«
» Per Ardua ad Astra. Das ist der Wahlspruch der Royal Air Force«, erklärte Will mit zitternder Stimme. »›Durch Elend zu den Sternen‹.«
»Na und? Ist doch nichts Besonderes, ich wette, jeder Soldat der königlichen Luftwaffe hat so ein Ding.«
»Aber hat jeder Soldat der Royal Air Force auch einen Bruder, der Edgar heißt?«, fragte Cordelia leise.
Wie betäubt schüttelte Will den Kopf – dann richtete er sich plötzlich wütend auf. »Miss Walker, in was haben Sie mich da hineingezogen?«
»Das waren doch nicht wir – wir hatten damit gar nichts zu tun –, die Windfurie hat …«
»Sie haben mich in diesen Schlamassel hineingezogen! Eben noch lautete mein Auftrag, zum entscheidenden Durchbruch in der Picardie zu verhelfen, und auf einmal habe ich meine befehlshabenden Offiziere im Stich gelassen und finde mich in einem undurchsichtigen Spiel wieder, das von ein paar amerikanischen Kindern gespielt wird! Das ist doch zum Verrücktwerden!«
Kinder?, dachte Cordelia. Ich bin fast so alt wie er! Und wahrscheinlich viel intelligenter . Brendan legte dem Piloten beruhigend eine Hand auf den Rücken. Will holte Luft, um sein wütendes Gebrüll fortzusetzen – und bekam plötzlich einen Hustenanfall. Blut spritzte über den Küchentisch.
»Oh, mein Gott!«, kreischte Eleanor.
Will verdrehte die Augen und sank zurück auf die Kissen.
Cordelia schluckte und starrte wie gebannt auf seine Schulter.
»Nell, nimm die Kissen weg. Bren, hol die Küchenschere, eine Kerze und ein paar
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