Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fluch des Denver Kristoff

Der Fluch des Denver Kristoff

Titel: Der Fluch des Denver Kristoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ned Vizzini , Chris Columbus
Vom Netzwerk:
Streichhölzer. Wir operieren ihn. Jetzt.«

23
    L eider hatte Brendan im ganzen Haus nur Duftkerzen mit Weiße-Schokolade-Trüffel-Aroma auftreiben können, das sich nun in der Küche ausbreitete, während die Geschwister ihre Notoperation vorbereiteten. Brendan kitzelte der Geruch in der Nase, als er gerade dabei war, die Küchenschere in den verschütteten Whisky aus Wills Flachmann zu tauchen, um die Klingen zu sterilisieren.
    Cordelia wusste, dass sie nur einen einzigen Versuch hatte, den Pfeil aus Wills Schulter zu bekommen. Seltsam: Bevor er ohnmächtig geworden war, waren ihr tausend Gedanken durch den Kopf gegangen: Woher kommt er? Könnte er uns helfen, unsere Eltern zu finden? Jetzt hatte sie nur noch eine einzige Frage: Wie kriegt man diesen Pfeil am schnellsten raus?
    Nein, korrigierte sie sich selbst, wie ist es am sichersten? Denn die erste Regel für einen Arzt lautete: keinen Schaden anrichten. Wenn man allerdings mit einer Küchenschere an einem Menschen herumdokterte, konnte man eine ganze Menge Schaden anrichten. Also zum Beispiel, Keime in eine offene Wunde bringen. Sie erhitzte die Klingen der Schere in der Kerzenflamme. »Keinen Schaden anrichten« – hatte man diesen Grundsatz erfunden, damit Ärzte sich nicht schuldig fühlen mussten?
    »Und was soll ich tun?«, fragte Eleanor.
    »Lauf nach oben und hol Moms Nähkasten.«
    »Machst du Witze?«, fragte Brendan.
    »Und bring Aspirin mit. Oder Ibuprofen. Am besten alle Schmerzmittel, die du im Arzneischrank finden kannst. Er wird sie brauchen.«
    »Ich darf den Arzneischrank doch gar nicht öffnen.«
    »Jetzt darfst du es.«
    »Ich will aber zugucken, wenn du ihn operierst.«
    »Oh nein, das willst du nicht. Glaub mir.«
    Die ernste Stimme ihrer Schwester im Ohr, lief Eleanor die Wendeltreppe hinauf in den ersten Stock. Vielleicht war es manchmal gar nicht so schlecht, die Jüngste zu sein.
    Sobald Eleanor verschwunden war, führte Cordelia die leicht geöffnete Schere Zentimeter um Zentimeter auf Wills Wunde zu. Kurz davor hielt sie inne.
    »Worauf wartest du?«, fragte Brendan.
    »Ruhe! Ich versuche gerade, mir vorzustellen, dass Dad hier ist und mir Tipps gibt.«
    »Dadurch wirst du doch nur noch mehr unter Druck …«
    Aber Cordelia hatte ihn bereits ausgeblendet und konzentrierte sich ganz darauf, was ihr Vater immer gesagt hatte: Hände waren Werkzeuge. Der Körper war eine Maschine. Manchmal musste man in sein Inneres vordringen und ihn reparieren, genauso wie man einen Geschirrspüler reparieren musste. Zustoßen, dann einmal kräftig ziehen, als würde man ein Pflaster abreißen, und schon ist es vorbei.
    Im Fernsehen würde man bei so einer Szene jetzt dramatische Hintergrundmusik spielen. In der Realität herrschte im ganzen Haus Totenstille. Nur das leise Knistern des Kerzendochts war zu hören. Und ihr Atem. Die heißen Scherenklingen berührten Wills Haut schon beinahe, da zischte es leise, als einige Härchen sich in der Hitze kräuselten und versengt wurden … gegen diesen Geruch konnte auch Weiße-Schokolade-Trüffel-Aroma nichts ausrichten. Cordelia verlor die Nerven und ließ die Schere sinken.
    »Stell dir doch einfach vor, es wäre ein Videospiel«, schlug Brendan vor.
    »Ein Videospiel, bei dem man Menschen operiert?«
    »Ja, genau. Tu so, als hätten sie gerade eine neue High-tech-Version von Operation herausgebracht. Denk nur daran, wie viele Punkte du bekommst, wenn du den Pfeil richtig rausziehst.«
    »Und was passiert, wenn ich es nicht schaffe?«
    »Na, was wohl? Game over .«
    Cordelia versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren, und folgte Brendans Vorschlag. Bei ihrem zweiten Anlauf stellte sie sich über Wills Schulter einen Zähler vor, der auf null stand. Mit jedem Zentimeter, den ihre Hand der Wunde näher kam, wuchs ihr Punktekonto: zehn Punkte, zwanzig, dreißig … Sie bohrte die Schere in Wills Haut, vierzig, fünfzig … Weder der Geruch der versengten Haare noch das leise Zischen der Haut konnten sie jetzt aufhalten … sechzig, siebzig … immer tiefer bohrte sie die Schere hinein, biss die Zähne zusammen und arbeitete sich zur Spitze des Pfeils vor. Wills Körper zuckte, aber er blieb bewusstlos.
    »Super, gleich hast du ihn!«
    Oben im Badezimmer hüpfte Eleanor mit einer großen Pillendose Aleve in der Hand vom Badewannenrand und lief weiter ins Elternschlafzimmer, wo der Nähkorb ihrer Mutter stand. Sie fragte sich, welche Farbe Cordelia wohl wählen würde. Mit Schwarz wird er aussehen wie eine

Weitere Kostenlose Bücher