Der Fluch des Florentiners
Gefälligkeitsklamotte, dachte er sich.
Bernhard Kleimann kehrte in Gedanken zurück zu seinem alten Freund und seinen merkwürdigen Verabredungen. Was, so schoss es ihm durch den Kopf, würde passieren, wenn er den Leiter der Soko Mraksch über diese dubiose Sache mit Francis Roundell informieren würde? Er hatte nicht vor, Francis Ärger zu bereiten, aber die Sonderkommission zur Klärung der Raubüberfälle von Bayern und Florenz war mit Topleuten und Kriminalbeamten aus vielen Staaten besetzt. Darunter befanden sich auch Marokkaner. Sie waren es gewesen, die auf die Bezeichnung für die Soko gekommen waren. Denn »Mraksch« hieß auf Arabisch »Stadt«. Und in Marokko gab es eine Stadt, die ihren heutigen Namen davon ableitete – Marrakesch! Genau dort hielt sich jetzt dieser Jilani Rezaigui auf. Zufall?
»Die Frage ist letztendlich«, murmelte Bernhard Kleimann an diesem Dezemberabend in Lyon vor sich hin und entschied, seine Karriere nicht für einen alten Freund zu riskieren, »… die Frage ist, wo Francis Roundell jetzt steckt!«
»Viktoria … grüß dich! Ich bin’s!« Marie-Claire de Vries war froh, ihre Berliner Kollegin noch so spät am Abend telefonisch zu erreichen. » Du, ich habe im Hotel Esplanade meinen Schminkkoffer stehen lassen. Könntest du dich bitte darum kümmern und ihn mir, wenn ihr ihn gefunden habt, per Post schicken? «
Genüsslich streckte sich Marie-Claire auf ihrem Bett aus. Sie fühlte sich pudelwohl. Schon die letzte Nacht hatte sie ausgezeichnet geschlafen, gemütlich gefrühstückt und zum ersten Mal seit langem wieder Zeit gehabt, all ihre Gedanken und die neuesten Erkenntnisse zu ordnen. Längst hatten sich ihr E-Mail-Postfach und der Briefkasten mit Informationen und Dokumenten von der Sicherheitsabteilung in London, von Universitätsbüchereien und Antiquariaten gefüllt. Sie brauchte dringend Zeit, das Puzzle um den Florentiner zusammenzusetzen. Morgen würde sie für Francis Roundell einen Zwischenbericht erstellen. Jetzt, nach dem Abendessen und einem herrlichen Bad, wollte sie nur noch einige Telefonate erledigen. Es wunderte sie nicht, dass sie ihre Schminkutensilien in Berlin vergessen hatte. Das nächtliche Gespräch mit Sanjay war bis in die frühen Morgenstunden gegangen. Beinahe hätte sie sogar ihren Rückflug verschlafen. Sie hatte nicht einmal die Zeit gehabt, sich zu schminken, sie war vielmehr in großer Eile zum Flughafen gefahren. Ihre Kollegin Viktoria, die gern plauderte und für die der Job bei Christie ’ s ein wahrer Segen war, plapperte am anderen Ende des Telefons wie ein Wasserfall. Als sie den Namen ihres Sicherheitschefs beiläufig erwähnte, kam Marie-Claire plötzlich ein Gedanke.
» Sag mal, Vicki, wer hat eigentlich diese beiden Inder, die Brüder Kasliwal, auf die Einladungsliste für diesen Aben d g esetzt? Das sind ja keine Berliner oder Hamburger Kunden, meines Wissens sind sie in der Regel auf den Auktionen in London und in Genf anzutreffen. «
Neugierig lauschte Marie-Claire den Worten ihrer Kollegin. Abrupt richtete sie sich auf. Jede Antwort hatte sie erwartet, nur nicht diese!
» Bist du sicher? «, unterbrach sie Viktoria. » Francis Roundell? Das ist aber sehr ungewöhnlich. Die Einladungen werden doch von der Verkaufs- oder Marketingabteilung rausgeschickt. Francis hat überhaupt nichts damit zu tun … «
Gespannt hörte sie ihrer Kollegin zu. So wohlig müde sie nach dem heißen Bad gewesen war, so hellwach war sie jetzt. Nach zwei, drei weiteren Fragen an Viktoria legte sie den Hörer auf, holte sich einen Cognac, zündete sich völlig in Gedanken eine Zigarette falsch herum an, überlegte – und wählte dann die Handynummer von Francis Roundell. Sie wusste, dass er Wert darauf legte, rund um die Uhr erreichbar zu sein. Und das war er eigentlich schon immer. Von seinen persönlichen Lebensu m ständen wusste sie nichts. Er erzählte nie freiwillig von sich. Das war ihr vorher nie aufgefallen. Eigentlich kannte sie ihn kaum. Genau in dem Moment meldete er sich am anderen Ende der Leitung. Er klang hellwach, obwohl es spät in der Nacht war.
» Hallo, Francis! Tut mir Leid, dass ich Sie noch so spät störe, aber ich war den ganzen Tag über so fix und fertig, dass ich es einfach nicht früher geschafft habe. Ich wollte Sie nur telefonisch vorab über den derzeitigen Stand meiner Recherchen informieren. Einen ausführlichen Bericht bekommen Sie dann morgen per E-Mail. «
Marie-Claire bemühte sich, ruhig zu
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