Der Fluch des Khan
er benommen dalag, stellte er fest, dass keine Sandkörner mehr auf ihn einprasselten. Ohne es in der Sturmnacht überhaupt wahrzunehmen, war Giordino über einen Felshaufen gestolpert, an dessen Rückseite sich eine kleine Höhle befand, die vor dem heulenden Wind geschützt war. Pitt streckte den Arm aus und betastete die Felswand, dann spürte er, wie Giordino neben ihn kroch und zusammenbrach. Mit letzter Kraft löste er das Filztuch und breitete es über ihre Köpfe, dann ließ er sich in den weichen Sand sinken und schloss die Augen.
Inmitten des heulenden Sandsturms verloren beide Männer die Besinnung.
29
G iordino träumte. Er träumte, dass er im stillen Wasser eines tropischen Pools lag. Das laue Nass war so zähflüssig wie Sirup, sodass er sich nur langsam und mühselig bewegen konnte. Auf einmal schwappte ihm eine Reihe kleiner, heißer Wellen ins Gesicht. Er riss den Kopf hoch, konnte der feuchten Wärme aber nicht entrinnen. Dann wurde ihm das Ganze zu realistisch. Es lag am Geruch, einem sehr unangenehmen Geruch überdies, zu stark für einen Traum. Der Gestank weckte ihn schließlich, und mühsam schlug er ein Auge auf.
Heller Sonnenschein stach ihm ins Gesicht, aber blinzelnd erkannte er, dass kein aquamarinblaues Wasser um seinen Körper schwappte. Stattdessen kam ein großer, rosiger Lappen auf ihn zu und strich ihm heiß über die Wange. Er riss den Kopf weg und sah, wie der rosa Schwabber hinter einer Reihe kräftiger gelber Zähne in einer ellenlangen Schnauze verschwand. Dann stieß das Vieh den Atem aus und blies Giordino eine widerliche, nach Zwiebeln, Knoblauch und Limburger Käse riechende Wolke ins Gesicht.
Er riss beide Augen auf, schüttelte kurz und heftig den Kopf, bis er wieder einigermaßen klar denken konnte, und starrte über die lange Schnauze hinweg in zwei schokoladenbraune Augen, die von langen Wimpern bedeckt waren. Neugierig blinzelte das Kamel Giordino an, stieß dann einen Schrei aus, wich zurück und knabberte an einem Stück Filz, das aus dem Sand ragte.
Mühsam setzte sich Giordino auf, dem jetzt klar wurde, dass das sirupartige Wasser in seinem Traum eine Schicht Sand gewesen war, den die Sonne aufgewärmt hatte. Fast dreißig Zentimeter hoch hatte ihn der Sandsturm letzte Nacht in der kleinen Höhle aufgetürmt. Benommen zog Giordino die Arme aus der zähen Masse und stupste die Gestalt neben sich an, die ebenfalls unter Filz und Sand begraben war, dann schaufelte er ein paar Handvoll von dem feinen braunen Zeug weg. Der Filz raschelte leicht, wurde dann beiseite gestoßen, und darunter kam Pitts abgespanntes, hageres Gesicht zum Vorschein. Es war von der Sonne verbrannt, die Lippen aufgesprungen und verschwollen. Doch die tief eingesunkenen Augen funkelten auf, als er sah, dass sein Freund am Leben war.
»Ein neuer Tag im Paradies«, krächzte er mit ausgedörrter Kehle, während er die Umgebung musterte. Der Sandsturm hatte sich ausgetobt, jetzt lagen sie in Sonnenschein getaucht unter einem strahlend blauen Himmel.
Sandbäche rieselten an ihnen herab, als sie sich aufrichteten.
Giordino schob die Hand in die Tasche und nickte kurz, als er feststellte, dass das Hufeisen noch da war.
»Wir haben Gesellschaft«, stieß er keuchend aus. Seine Stimme klang wie Stahlwolle auf Schmirgelpapier.
Mühsam kroch Pitt unter der Sanddecke hervor und blickte zu dem Lasttier hin, das ein paar Schritte entfernt stand. Es war ein Trampeltier, wie er anhand der beiden Höcker feststellte, die leicht zur Seite hingen. Das verfilzte Fell des Viehs war kaffeebraun, an den Flanken etwas dunkler. Das Kamel erwiderte Pitts Blick ein paar Sekunden lang, dann knabberte es wieder am Filz.
»Ein Wüstenschiff«, sagte Pitt.
»Kommt mir eher wie ein Schlepper vor. Wollen wir’s essen oder drauf reiten?«
Pitt überlegte gerade, ob sie überhaupt die Kraft für eins von beidem hatten, als hinter einer Düne ein schriller Pfiff ertönte.
Dann kam ein kleiner Junge auf einem braun gescheckten Pferd angesprengt. Er trug einen grünen
Del
und hatte kurze schwarze Haare, die unter einer verblichenen Baseballkappe steckten. Der Junge ritt zu dem Kamel und rief seinen Namen. Als das Kamel den Kopf hob, warf er ihm rasch eine Schlinge um den Hals, die an einer Stange angebracht war, und zog sie straff. Erst jetzt blickte er zu Boden und bemerkte Pitt und Giordino. Erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen starrte der Junge auf die beiden ausgezehrten Männer, die ihm wie Gespenster
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