Der Fluch des Khan
feuchte Tücher, mit denen sie sich Gesicht und Hände waschen konnten, und warf dann ein paar Streifen Hammelfleisch in einen Wasserkessel. Als sie den blutigen Verband an Pitts Bein bemerkte, säuberte sie die Wunde, während die Männer eine Tasse mit dünnem schwarzem Tee nach der anderen tranken.
Als das Hammelfleisch gar war, setzte sie jedem Mann eine Riesenportion vor und brachte dazu ein Tablett mit Hartkäse.
Den ausgehungerten Männern kam das eigenartig schmeckende Mahl wie französische Haute Cuisine vor. Nachdem sie den Hammel mit Käse vertilgt hatten, holte der Mann einen Lederbeutel, der mit gegorener Stutenmilch gefüllt war,
Airag
genannt, und schenkte drei Becher ein.
Nojon kam in die Jurte und setzte sich hinter den Mann, um seinen Eltern, die kein Englisch konnten, als Dolmetscher zu dienen. Leise, mit tiefer Stimme ergriff sein Vater das Wort und blickte Pitt und Giordino in die Augen.
»Mein Vater Tsengel und meine Mutter Ariunaa heißen euch in ihrem Heim willkommen«, sagte der Junge.
»Wir danken euch für eure Gastfreundschaft. Ihr habt uns das Leben gerettet«, sagte Pitt, während er ihnen zuprostete und das Getränk –
Airag –
probierte. Seiner Ansicht nach schmeckte das Gebräu wie eine Mischung aus warmem Bier und Buttermilch.
»Verratet mir, was ihr ohne Proviant in der Gobi wolltet?«, ließ Tsengel seinen Sohn fragen.
»Wir wurden bei einem kurzen Abstecher in die Wüste von unserer Reisegruppe getrennt«, flunkerte Giordino. »Wir haben unsere Spur zurückverfolgt, haben uns aber verirrt, als letzte Nacht der Sandsturm losbrach.«
»Ihr habt Glück gehabt, dass mein Sohn euch gefunden hat. In diesem Wüstengebiet gibt es nur wenige Siedlungen.«
»Wie weit ist es bis zur nächsten Ortschaft?«, fragte Pitt.
»Etwa zwanzig Kilometer entfernt gibt es eine kleine Siedlung. Aber genug der Fragen«, sagte Tsengel, als er die müden Augen der beiden Männer sah. »Ihr müsst euch nach dem Essen ausruhen. Wir reden später weiter.«
Nojon brachte die Männer zu zwei der kleinen Betten und folgte dann seinem Vater nach draußen, um sich um die Herde zu kümmern. Pitt legte sich auf das gepolsterte Bett und bewunderte die leuchtend gelben Dachstützen, bevor er in tiefen Schlaf sank.
Er und Giordino wurden kurz vor der Abenddämmerung durch den Geruch des über der Feuerstelle kochenden Hammelfleisches geweckt. Sie vertraten sich vor der Jurte die Beine und liefen zwischen den sanftmütigen Kamelen herum, die ungehindert umherstreiften. Kurz darauf kamen Tsengel und Nojon angaloppiert, sie hatten den ganzen Nachmittag lang verirrte Tiere zusammengetrieben.
»Ihr seht jetzt besser aus«, ließ Tsengel seinen Sohn übersetzen.
»Uns geht es auch besser«, erwiderte Pitt. Das Essen, die Getränke und die Ruhepause hatten sie wiederbelebt, und sie fühlten sich erstaunlich frisch.
»Das Essen meiner Frau. Es ist das reinste Elixier.« Der Mann grinste. Er band die Pferde am Begrenzungsseil der Koppel fest, wusch sich mit einem Eimer voller Seifenwasser und geleitete sie in die Jurte. Wieder erwartete sie Hammelfleisch mit Käse, dazu gab es gekochte Nudeln. Diesmal vertilgten Pitt und Giordino ihr Essen nicht so gierig. Außerdem wurde
Airag
nun früher aufgetischt, großzügiger ausgeschenkt und aus kleinen Keramikschalen getrunken, die sich offenbar niemals leerten.
»Sie haben eine eindrucksvolle Herde«, stellte Giordino an den Gastgeber gewandt fest. »Wie viele Tiere?«
»Wir besitzen hundertdreißig Kamele und fünf Pferde«, erwiderte Tsengel. »Ich bin damit zufrieden, aber die Herde ist nur ein Viertel so groß wie die, die wir einst auf der anderen Seite der Grenze besaßen.«
»In der von China verwalteten Inneren Mongolei?«
»Ja, im sogenannten autonomen Gebiet, das mittlerweile kaum mehr als eine chinesische Provinz ist.« Mit wütend funkelnden Augen blickte Tsengel ins Feuer.
»Warum sind Sie weggezogen?«
Tsengel nickte zu einem verblichenen Schwarzweißfoto auf dem Altar hin, auf dem ein Junge hoch zu Pferd und ein älterer Mann zu sehen waren, der die Zügel hielt. Die stechenden Augen des Jungen verrieten, dass es der junge Tsengel mit seinem Vater war.
»Über mindestens fünf Generationen hinweg haben meine Vorfahren ihre Herden im Osten der Gobi weiden lassen. Mein Vater besaß einst über zweitausend Kamele. Aber diese Zeit ist längst vergangen. In diesen Gebieten ist kein Platz mehr für einfache Hirten. Die chinesischen Bürokraten
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