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Der Fluch des Khan

Der Fluch des Khan

Titel: Der Fluch des Khan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Cussler , Dirk Cussler
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ein aufgerolltes Stück Seide, hellblau gefärbt. Tsendyn schüttelte eine Decke aus und breitete sie zu Hunts Füßen am Boden aus. Der Archäologe wartete, bis sich der Staub verzogen hatte, dann kniete er sich auf die Decke und rollte den Seidenstreifen auf, der fast anderthalb Meter lang war. Tsendyn bemerkte, dass dem ansonsten so unerschütterlichen Archäologen jetzt die Hände zitterten, während er die Falten glatt strich.
    Eine herrliche Landschaft war auf die Seide gemalt – ein hoher Berg mit tiefen Tälern, Schluchten und Wasserläufen, alles bis ins kleinste Detail wunderbar dargestellt. Aber offensichtlich war das mehr als ein Kunstwerk. Über den linken Rand zog sich ein Text, uigurische Schriftzeichen, wie Hunt erkannte, die älteste mongolische Schrift, übernommen von Turkvölkern, die in den Steppen Asiens siedelten. Am rechten Rand befand sich eine Abfolge von kleineren Bildern, ein Harem, Pferdeherden, Kamele, Maulesel und andere Tiere sowie eine Abteilung Soldaten, die zahlreiche Holzkisten umringten. Auf der Landschaft hingegen war weit und breit nur ein einziges Lebewesen zu sehen – ein auf einer Anhöhe stehendes Trampeltier mit einer Satteldecke, auf der zwei Worte standen. Das Kamel weinte offenbar und vergoss riesige Tränen.
    Als Hunt die bemalte Seide genauer betrachtete, trat ihm der Schweiß auf die Stirn. Er spürte, wie mit einem Mal sein Herz raste, und musste sich regelrecht dazu zwingen, tief Luft zu holen. Das kann nicht sein, dachte er.
    »Tsendyn … Tsendyn«, murmelte er, hatte fast Angst davor zu fragen. »Das ist uigurische Schrift. Können Sie lesen, was da steht?«
    Der mongolische Assistent bekam große Augen, als auch er sich darum bemühte, die Bedeutung des Bildes zu verstehen.
    Stotternd und stammelnd versuchte er den Text für Hunt zu übersetzen.
    »Am linken Rand wird das Berggebiet beschrieben, das auf dem Gemälde zu sehen ist. ›Hoch auf dem Burhan Haldun, inmitten des Kentei-Gebirges, schläft unser Herrscher. Der Ononfluss stillt seinen Durst zwischen den Tälern der Verlorenen‹.«
    »Und die Inschrift auf dem Kamel?«, flüsterte Hunt und deutete mit zitterndem Finger auf die Bildmitte.
    »Temujin khagan«, erwiderte Tsendyn, der die Worte leise, fast ehrfürchtig aussprach.
    »Temujin«, wiederholte Hunt wie in Trance. Die chinesischen Arbeiter verstanden nicht, womit sie es hier zu tun hatten, aber Hunt und Tsendyn wurde schlagartig klar, dass sie eine ganz erstaunliche Entdeckung gemacht hatten. Hunt, der sich immer mehr erregte, musste die ungeheure Bedeutung dieses Seidengemäldes erst einmal verdauen. Insgeheim versuchte er die Aussage zunächst anzuzweifeln, aber die Kraft, die diesem Bild innewohnte, war zu überwältigend. Das weinende Kamel, die Beigaben, die auf der anderen Seite abgebildet waren, die Ortsbeschreibung. Dann war da noch der Name auf dem Rücken des Kamels. Temujin. Das war der Geburtsname eines jungen Stammeskriegers, der später zum größten Eroberer der Weltgeschichte wurde. Der Titel, den er sich als Herrscher zulegte, war bis zum heutigen Tag unvergessen: Dschingis Khan. Das alte Seidengemälde, das vor ihnen lag, konnte nichts anderes sein als ein Lageplan der geheimen Grabstätte des Dschingis Khan.
    Hunt sank in die Knie, als ihm allmählich klar wurde, was dieser Fund bedeutete. Das Grab des Dschingis Khan war eine der meistgesuchten Stätten in der Geschichte der Archäologie.
    Mit einem erstaunlichen Siegeszug hatte Dschingis Khan zunächst die mongolischen Stämme der asiatischen Steppen geeint und war dann zu einem Eroberungskrieg aufgebrochen, der seither ohnegleichen geblieben war. Zwischen 1206 und 1223 nach Christus rückten er und seine Nomadenhorden im Westen bis nach Ägypten und Litauen vor und unterwarfen sämtliche Länder, auf die sie unterwegs stießen. Dschingis Khan starb 1227 auf dem Höhepunkt seiner Macht und wurde, wie man wusste, heimlich im mongolischen Kentei-Gebirge begraben, nicht weit von seinem Geburtsort entfernt. Nach mongolischer Tradition wurde er mit vierzig Konkubinen und unermesslichen Schätzen bestattet, und anschließend wurde die Begräbnisstätte von seinen Untertanen sorgfältig getarnt. Das einfache Fußvolk, das den Trauerzug begleitet hatte, wurde getötet, die Befehlshaber mussten Stillschweigen geloben, sonst drohte ihnen das gleiche Schicksal.
    Seither hatte es keinerlei Hinweis auf die Grabstätte mehr gegeben, da diejenigen, die sie kannten, gestorben waren und ihrem

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