Der Fluch des Khan
sie, das Lavafeld aufzubrechen, um an das Wrack ranzukommen.«
»Das können sie haben. Lass uns lieber Summer suchen und dann abhauen, bevor uns die ganze Insel auf den Kopf fällt.«
Sie ließen den Katamaran zu Wasser und schwangen sich an Bord, paddelten dann lautlos von den Felsen weg und hielten vorsichtig auf das Bohrschiff zu. Dahlgren, der nach vorn Ausschau hielt, bemerkte, dass die Spitze seines Surfbretts platt wie ein Pfannkuchen war.
Aber er brachte es nicht über sich, Dirk zu erzählen, dass der herabstürzende Felsbrocken sein Surfbrett erwischt hatte.
48
S ummer saß am Kartentisch im Ruderhaus und dachte über eventuelle Fluchtmöglichkeiten nach, als das erste akustische Bombardement ausgelöst wurde. Der dumpfe Knall drang direkt unter dem Schiff hervor, und sie vermutete ebenso wie Dirk, dass es sich um eine Art Explosion handelte. Diese Verbrecherbande versucht offenbar die Lavaschicht über dem Wrack aufzusprengen, dachte sie.
Der Stiernackige, der sie von der anderen Tischseite aus boshaft anstarrte, reagierte mit einem schmalen Grinsen auf Summers teils wütende, teils verwunderte Miene. Als ein paar Sekunden später der zweite Unterwasserknall auf der Brücke widerhallte, zeigte er ihr die ganze Pracht seiner tabakgebräunten Zähne.
So widerlich Summer ihre Häscher auch fand, ihr Treiben faszinierte sie doch. Wenn jemand den Tod anderer Menschen in Kauf nahm und mutwillig die Liegestätte eines Wracks zerstörte, dann musste er sich ziemlich sicher sein, dass der Laderaum irgendetwas sehr Wertvolles enthielt. Summer dachte an Tong und sein Interesse an dem Porzellanteller mit dem kaiserlichen Motiv. Doch er musste es noch auf etwas anderes als Töpferwaren abgesehen haben, wenn er die Lava wegsprengte, um an sein Ziel zu kommen. Vermutlich Gold oder Edelsteine, dachte sie.
Als die Brücke unter der zweiten Schockwelle leicht erbebte, überlegte sie sich wieder ihre Fluchtmöglichkeiten. Zunächst einmal musste sie zusehen, dass sie von dem Schiff runterkam, sonst hatte sie keine Überlebenschance. Sie war eine gute Schwimmerin. Sie musste nur irgendwie ins Wasser gelangen, dann konnte sie es mühelos zu den Klippen rund um die Bucht schaffen. Der Marsch ins Inland oder am Meer entlang dürfte wegen der steil aufragenden, zerklüfteten Küste alles andere als ein Spaziergang werden, aber vielleicht konnte sie sich einfach zwischen den Felsen verstecken, bis die
Mariana Explorer
zurückkehrte. So schwer es auch sein mochte, es war allemal besser, als weiter auf diesem Schiff und in Gesellschaft dieser Killer zu bleiben.
Sie kam zu dem Schluss, dass sie jetzt, da sie mit dem Steuermann und ihrem Bewacher allein auf der Brücke war, vielleicht die besten Chancen hatte. Der Steuermann stellte allem Anschein nach keine große Gefahr dar. Er war fast noch ein Junge, schmächtig gebaut, und wirkte irgendwie duckmäuserisch.
Fortwährend glotzte er Summer mit ihren über eins achtzig an, als wäre sie Aphrodite.
Sie wandte sich dem Stiernackigen auf der anderen Seite des Tisches zu. Er allerdings könnte ihr Ärger machen. Der Rohling mit den schlechten Zähnen konnte gewalttätig werden. Seine Miene verriet ihr, dass es ihm Spaß machen würde, einer schönen Frau wehzutun, und beim bloßen Gedanken daran erschauderte sie. Sie musste ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen, aber wenigstens hatte sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite.
Sie bot ihren ganzen Mut auf und sagte sich schließlich, dass sie es einfach versuchen musste, entweder jetzt oder nie. Sie stand vom Tisch auf und lief zum vorderen Brückenfenster, als wollte sie sich die Beine vertreten und den Ausblick genießen.
Der Stiernackige tat es ihr sofort gleich und blieb ein paar Schritte hinter ihr stehen.
Summer hielt einen Moment lang inne, atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und wandte sich dann der Backbordbrückennock zu. Mit einem weiten Schritt ging sie auf die offene Tür zu, als wollte sie in einen Fahrstuhl steigen. Der Wächter schnaubte sie augenblicklich an, dass sie stehen bleiben sollte, doch sie beachtete ihn nicht. Leichtfüßig ging sie durch die Tür. Der Rohling kam ihr sofort hinterher und legte ihr seine schmutzige Hand auf die Schulter. Die Schnelligkeit, mit der sie reagierte, überraschte sie selbst.
Sie rechnete mit seinem Vorstoß, ergriff mit beiden Händen den Unterarm des Mannes, drehte sich zur Seite und stieß seine Hände nach oben. Dann ging sie rückwärts in den Mann hinein
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