Der Fluch des Koenigs
Fluss war ihr ein unüberwindliches Hindernis. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie Joesin durch die schlammigen Wasser übersetzen wollte, ohne Boot oder Floß, denn es sah nicht so aus, als sei das Wasser seicht genug, um zum anderen Ufer waten zu können.
Etwas streifte Moas Fuß. Mit einem Aufschrei sprang sie zurück und sah gerade noch, wie ein schuppiger Schlangenkörper an ihr vorbei in den Fluss glitt und darin verschwand. Wenig später tauchte die dunkel gemusterte Schlange aus dem Wasser auf und schwamm elegant und schwerelos dem anderen Ufer entgegen.
„Kaum Strömung“, murmelte Joesin. „Sehr gut.“
Er hob sein Schwert in die Hand, hielt es wie einen Speer und warf es zu Moas Verblüffen mit einer einzigen kraftvollen Bewegung über den Fluss. Es landete am anderen Ufer und blieb dort aufrecht im Boden stecken. Dann nahm er das Bündel von der Schulter und schleuderte es über seinem Kopf im Kreis.
Moa duckte sich. Mit einem pfeifenden Geräusch flog das Bündel über den Fluss und landete neben dem Schwert.
Joesin drehte sich zu ihr um. „Und jetzt du.“ Die Worte klangen wie eine Todesdrohung in ihren Ohren.
Moa keuchte. „Nein.“ Sie hob die Hände abwehrend vor ihren Körper und ging rückwärts. Joesin betrachtete sie zweifelnd, bis sie sich so weit zurückgezogen hatte, dass sich das Seidenband zwischen ihnen spannte. Er legte den Kopf schräg und musterte sie von oben bis unten. „Kannst du schwimmen?“
Moa Herz pochte wie Kriegstrommeln in ihrer Brust. Sie presste die Kiefer aufeinander und schwieg.
Joesin fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und schüttelte den Kopf. „Die Prinzessin aus dem Tal der tausend Flüsse kann nicht schwimmen.“ Mit zusammengekniffenen Augen sah er auf das braune Gewässer. „Das wird interessant.“
Seine Worte waren zwar nicht direkt an sie gerichtet, doch die Verachtung mit der er gesprochen hatte, versetzte Moa einen beißenden Stich. Misstrauisch folgte sie seinen Bewegungen, während sie verzweifelt versuchte das grüne Band über ihr Handgelenk zu schieben. Eine Schlinge verengte sich und biss ihr in die Haut, doch Moa achtete nicht darauf.
„Gib es auf.“ Joesin nickte in Richtung ihres Handgelenks. „Sonst binde ich es um deinen Hals.“
Moa schnappte nach Luft. „Das würdest du nicht wagen.“
Joesins Antwort bestand aus einem milden Lächeln.
„Hör auf zu grinsen, du verdammter - “
Ohne Vorwarnung packte Joesin das Seidenband mit beiden Händen und zog. Ein scharfer Schmerz schoss durch Moas Arm. Sie wurde nach vorne geschleudert. Ein Schrei war alles, was sie zustande brachte, bevor Joesin vor ihr in die Knie ging und sie auf seine Schulter hob.
Die Welt drehte sich auf den Kopf und im nächsten Moment baumelte sie über seiner Schulter.
„Lass mich runter, du Ungetüm!“ Sie wand sich in Joesins Griff und trommelte mit ihren Fäusten auf seinen Rücken. „Ich will runter.“ Doch zu ihrem Erschrecken sah sie, dass er bereits bis zu den Knöcheln im Fluss stand.
Joesin packte sie fester. „Halt still“, knurrte er, „oder ich lasse dich fallen.“
Moa versteifte sich augenblicklich. Sie hatte geglaubt in ihrer Würde nicht noch tiefer sinken zu können, doch über die Schulter eines Verbrechers geworfen in einen Fluss getragen zu werden, übertraf selbst ihre schlimmsten Alpträume. Hilflose Wut stieg in ihr auf und trieb ihr die Tränen in die Augen.
Joesin watete zwei weitere Schritte in den Fluss hinein und schon waren seine Waden zur Hälfte verschwunden.
„Nein. Ich kann nicht ...“ Angst schnürte Moa die Kehle zu. „Bitte ...“
Doch es half nicht. Vorsichtig bewegte Joesin sich weiter vor und ertastete sich seinen Weg auf dem rutschigen Grund des Flusses. Moas Herz trommelte hart gegen ihre Rippen. Mit aufgerissenen Augen beobachtete sie, wie das Wasser an Joesins Bein entlang immer näher auf ihr Gesicht zustieg. Es war so schlammig, dass sie dort, wo seine Füße im Wasser versunken waren, nichts als dunklere braune Schlieren erkennen konnte.
Mit dem nächsten Schritt stieg das Schlammwasser bis zur Hälfte seiner Schenkel. Verzweifelt versuchte Moa sich an Joesins Rücken abzustützen, um dem steigenden Wasser zu entkommen. Sobald es sie erreichte, würde sie ertrinken.
Joesin strauchelte. „Moa, was soll das?“, fragte er unwirsch.
„Wasser!“, war alles was sie zwischen hektischen Atemzügen herausbrachte. Es war so nah! Bald schon würde es sie überschwemmen und herabziehen in
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