Der Fluch des Koenigs
ein tiefes, nasses Grab. Sie konnte förmlich spüren, wie es in ihren Mund und ihre Nase drang, wie es ihre Lungen füllte und ihr die Luft zum Atmen nahm.
Plötzlich fühlte Moa sich gepackt und herumgeschwungen. Im nächsten Augenblick lag sie wie ein Kind in Joesins Armen.
Das Wasser reichte ihm bis knapp über die Hüfte. Sie standen mitten im Fluss.
Moa stieß einen Schrei aus und schlang ihre Arme um Joesins Hals. Es war ihr egal, dass sie ihm dabei die Luft abschnürte. Sie wusste nur noch, dass seine Arme Sicherheit bedeuteten und um sie herum der Tod floss. Sie presste sich an ihn, in grausiger Erwartung, jeden Moment Wasser an ihrem Gesicht, an ihren Lippen spüren. Es würde sich einen Weg durch ihren Mund in ihre Lungen bahnen und ihr Herz zum Schweigen bringen. Sie kniff die Augen zu und konzentrierte sich aufs Atmen.
Es schien ihr eine Ewigkeit zu dauern, bis sie Joesins leise Stimme vernahm.
„Moa. Wir sind am Ufer.“
Moas Bewusstsein tauchte wie aus einem Nebel auf. Ihr gesamter Körper hatte sich verkrampft und ihre Glieder kribbelten auf eine Art, als würden Millionen Insekten unter ihrer Haut kriechen.
Vorsichtig hob sie den Kopf. Joesin stand auf schlammiger, jedoch fester Erde. Zu seinen Füßen lag das Bündel und daneben steckte das Schwert. Steif löste sie ihre Arme von seinem Hals.
Er ließ sie widerspruchslos zu Boden gleiten, doch seine Augen ruhten aufmerksam auf ihrem Gesicht.
Moa kam ungeschickt auf dem Boden auf, ihre Beine fühlten sich an, als seien sie aus Pudding. Schwindel ergriff sie. Unsicher verlagerte sie das Gewicht vom einen auf den anderen Fuß und wankte, den Blick auf die weit auseinander stehenden Schilfrohre gerichtet, vom Ufer weg. Nur fort vom Wasser und von Joesin.
In ihrem Kopf drehte sich alles, doch sie wollte nicht daran denken. Einfach atmen, weiterlaufen, atmen, ruhiger werden. Vergessen und nicht daran denken, nicht an den Tag, der ihre Kindheit viel zu früh beendet hatte. Der Tag an dem die Flüsse des Tals rot gewesen waren vom Blut ihrer Eltern.
„Moa?“ Eine Hand berührte sie an der Schulter.
Sie schlug sie beiseite. „Nicht.“
Die Hand verschwand. Moa schleppte sich weiter, die Augen starr auf den Boden gerichtet, bis ein Ruck an ihrem Handgelenk sie zurückhielt. Sie wirbelte herum.
Joesin stand direkt hinter ihr und schaute verwundert auf sie herab.
„Warum lässt du mich nicht einfach in Frieden?“, schrie sie und stieß ihm die Hände vor die Brust.
Joesin wankte nicht einmal. Er ballte die Hände zu Fäusten, als müsse er sich davon abhalten, etwas zu zertrümmern. „Wir sollten weitergehen“, sagte er beherrscht und packte ihren Arm.
Der Vorfall am Fluss führte dazu, dass Moa für den Rest des Tages kein Wort mit Joesin sprach. Doch als der Himmel von einem blassen Blau zu einem aschfarbenen, dunkleren Ton wechselte, hielt sie es nicht mehr aus.
„Joesin.“ Sie zog ein paar Mal fest an dem Seidenband, bis er tatsächlich stehen blieb und sich zu ihr umdrehte.
„Was ist?“, fragte er ungehalten.
Die Schatten um sie herum wurden länger. Moa war, als würden sie auf sie zu kriechen und klauenartige Hände nach ihr ausstrecken. Gewaltsam musste sie ihre Augen von dem lauernden Dunkel losreißen. Sie atmete tief durch, darum bemüht, sich ihre wachsende Unruhe nicht anmerken zu lassen. „Wo ist der Greif?“
Joesin hob eine Augenbraue. „Prinzessin?“
Der Geruch von verbranntem Gras lag in der Luft. Moa schaute zu Boden und zupfte nervös an dem Seidenband. Sie bemerkte nicht einmal, dass es sich fester zuzog.
Joesin sah sie weiterhin zweifelnd an, als überlege er, ob ihr seltsames Betragen eine Antwort wert war. Doch dann blickte er in den Himmel. „Rach wird uns finden sobald die Dunkelheit ihm genug Deckung gibt.“ Er musterte sie aufmerksam und ein Funken Sorge stahl sich in seine Züge. „Was hast du?“
Moa konnte ein Zittern nicht unterdrücken. „Nichts“, sagte sie und zwang ein entschuldigendes Lächeln auf ihr Gesicht. „Es ist nur, meine Füße tun so weh und - “
Auf einmal war da ein Lufthauch an ihrer linken Hand. Geflüsterte Worte einer gequälten Zunge und der Geruch kalter Asche schwemmten über sie hinweg. Mehr brauchte es nicht, um sie wissen zu lassen, dass Joesins Leben verwirkt war.
Das grüne Seidenband um Moas Handgelenk löste sich vor ihren Augen in schwarze Fetzen auf und sank wie totes Laub herab.
Ein Schatten materialisierte sich neben ihnen. Das Aschewesen
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