Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
nicht.« Erfüllt von einem durchdringenden Mitgefühl blickte Lysaer auf das übel zugerichtete Gesicht des Gefangenen herunter. »Dein Tod würde auf Befehl meines Vaters jedem Mann auf diesem Schiff Verderben bringen.«
Arithon reagierte mit vernichtendem Sarkasmus. »Wie bewundernswert. Nicht zu vergessen das Gold, mit dem eine so tugendhafte Loyalität belohnt werden wird.« Seine grünen Augen flackerten im Licht der Laterne. »Du läßt mich leben, um mich dem König von Amroth zu übergeben. In seinen Händen werde ich zu einer Marionette der Folter werden, zu einem Ziel für den Haß, den unsere Mutter, mein Vater und sieben Generationen meiner Piratenkapitäne gefördert haben.« Arithon senkte den Blick. »Ich bitte dich, mich nicht in diese Lage zu zwingen. Laß mich mein Leben beenden. Es wird mir und deiner Familie weitere Schande ersparen.«
Die Einfachheit seiner Worte traf den Kronprinzen wie ein Schlag. Ihm fehlten die Worte, er versuchte, um eine Antwort herumzukommen, indem er sein Schwert vom Boden aufhob. Mit einer Gewalt, die aus seinen überreizten Nerven geboren war, rammte er es in seine Scheide. Der ursprüngliche Grund für seinen Besuch kam ihm nun wie eine billige, nutzlose und arrogante Scharade vor, die ihrem heuchlerischen Darsteller die Maske vom Gesicht riß. Unfähig, seinen eigenen Reaktionen zu vertrauen, wich er vor der Nähe seines Halbbruders zurück und verließ den Raum. Wenige Minuten dieses Wahnsinns hatten ihn beinahe soweit getrieben zu morden und das Leben der loyalen Seeleute zu opfern, nur um das Elend eines Kriminellen zu beenden. Zitternd ergriff der Kronprinz von Amroth das Geländer des Treppenaufgangs. »Das Schicksal hat entschieden, und du verdienst, was dir bevorsteht«, murmelte er in Richtung der geschlossenen Tür hinter sich.
»Euer Hoheit? Ist alles in Ordnung?« Der erste Offizier der Briane hatte auf dem Kajütgang gewacht, doch ohne die Lampe, die noch immer in der Segelkammer war, hatte ihn der Prinz im Dunkeln nicht sehen können.
Lysaer erschrak. Er hatte sich allein gewähnt, und die überraschende Erkenntnis, sich in Gesellschaft zu befinden, brachte ihn in Verlegenheit. »Ja, alles in Ordnung«, sagte er hastig.
Der erste Offizier war zu höflich, um irgendeinen Kommentar abzugeben, also holte er die Lampe aus der Segelkammer, legte den Riegel vor und verschloß die Tür.
Sich seiner schweißnassen Kleidung allzu bewußt, entfernte Lysaer sich von dem Schott. Der Stachel von s’Ffalenns Manipulation schien sich noch immer durch seinen Geist zu bohren. Unsicherheit ließ das Fundament der Ehre erbeben. Schlimmer noch, er empfand nach wie vor tiefes Bedauern. Arithons Gefangenschaft beim König würde hart sein und lange dauern. Nun begriff Lysaer erstmals das Ausmaß des Hasses, den sein Vater gegenüber den s’Ffalenns empfand, denn auch für deren letzten lebenden Sohn waren sie nur ein Pack übelster Dämonen.
Der Prinz fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Ihm war bewußt, daß der erste Offizier schweigend auf seine Anordnungen wartete. »Alles in Ordnung«, wiederholte er. Wenigstens hatte seine Stimme endlich zu zittern aufgehört. »Schick den Heiler herunter und zwar schnell. Ich will, daß der Gefangene wieder betäubt wird und das Schiff die Segel mit Kurs auf Port Royal setzt, ehe der Gezeitenwechsel einsetzt.«
Der erste Offizier blickte den Prinzen ängstlich an. »Euer Hoheit, das ist kein kluger Entschluß. Wenn er noch länger eine Überdosis dieser Droge bekommt, dann wird er den Verstand verlieren.«
Lysaer blickte auf. Seine Augen funkelten so hart wie die Saphire an seinem Kragen. »In Aths Namen, Mann, das weiß ich auch. Aber Wahnsinn wird eine Gnade für ihn sein, verglichen mit dem Urteil, das den Gefangenen als einen s’Ffalenn erwartet. Machen wir es ihm nicht so schwer, immerhin ist er der Letzte seines Geschlechts.«
Überrascht horchte der erste Offizier auf. »Dann ist der Piratenkönig auch tot?«
Lysaer nickte. »Das sollte meinen Vater genug erfreuen. Wenn der Heiler die Vergeltung des Königs fürchtet, dann sage ihm und allen anderen auf der Briane, daß ich als Fürsprecher mit Euch segeln werde.«
Verfolger
Das erste Licht des Tages drang durch die Rundbogen des Rauventurmes herein und zeichnete silbrige Linien und tiefdunkle Schatten auf das besorgte Gesicht des Magiers. Gerade hatte er damit aufgehört, im Raum auf und ab zu gehen. Seine müden Augen betrachteten aufmerksam den
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