Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
Lauscher, der zu seinen Füßen saß, doch der Mann war in tiefer Trance, und keine Regung deutete auf eine Rückkehr seines Bewußtseins hin. Ganz entrückt wirkten die Züge des Hellsehers; zarte Hände lagen gefaltet und vollkommen entspannt im Schoß seiner reichverzierten Robe, dort lagen sie schon seit dem Sonnenuntergang des vergangenen Tages.
Der Magier war sehr ungeduldig, denn nichts verriet ihm, ob die Bilder, die der Lauscher empfing, zuträglich oder eher schrecklich waren.
»Was ist mit meinem Enkel geschehen?« Die Worte kamen über seine Lippen, ehe dem Magier bewußt wurde, daß er laut sprach; trotz seiner Sorge durfte er sich keine Schwäche erlauben. Mit angehaltenem Atem wartete der ausgemergelte alte Zauberer weiter ab.
Der Lauscher öffnete die Augen. Der kleine Ausbruch und der Gesichtsausdruck des Magiers ließen ihn als einen der wenigen ahnen, wie sehr der Mann den s’Ffalenn-Bastard seiner Tochter liebte. Der Lauscher bemühte sich besonders taktvoll zu sein.
»Ich sehe einen dunklen Ort in steter Bewegung. Es riecht nach Segeltuch, Moder und Feuchtigkeit.« Der Lauscher erzählte nichts über den Schmerz, den Hunger und den Durst, den er ebenfalls an diesem Ort empfunden hatte. Warum sollte er das Herz eines alten Mannes betrüben, wenn sich doch Arithons Lage nicht verändert hatte, von dem kurzen Besuch eines Prinzen in der goldblauen Robe Amroths abgesehen?
Erneut schloß der Lauscher die Augen. Mit welchen Worten soll ich einem alten Mann sagen, daß sein geliebter Enkel versucht hat, seinen eigenen Tod herbeizuführen? Gibt es eine Möglichkeit, die Verzweiflung hinter einer solchen Tat gemildert darzustellen? Oder das Unrecht, daß der blinde Haß eines Königs, verursacht durch die Missetat seiner Gemahlin, nun auf den unglückseligen Leib ihres Sohnes lädt?
Es mißfiel dem Lauscher, üble Nachrichten weiterzugeben, ohne einen Hoffnungsschimmer einfließen lassen zu können. Erneut fiel er in Trance, um so lange an Arithons Elend teilzuhaben, bis er etwas gefunden hatte, das den Schmerz seines Großvaters zu lindern vermochte. Weit entfernt von den schwankenden Schiffsplanken fuhr der alte Magier fort, unruhig auf und ab zu gehen.
Blaßrot fiel das Licht des Sonnenaufgangs durch die Fenster des Turmes. Gebückt wie eine Krähe in seiner dunklen Robe blieb der Magier stehen. Kälte hielt sein Herz wie eine böse Vorahnung umfaßt.
Der Lauscher versteifte sich. Braune Augen öffneten sich in einem bleichen Gesicht von der Farbe feinen Leinens. »Dharkaron hat Erbarmen.«
»Das ist keine gute Neuigkeit«, sagte der Magier. »Sprich geschwind.«
Der Lauscher holte zitternd Atem und blickte auf. Seine Hände waren hilflos miteinander verschlungen. »Arithon ist Gefangener auf einem Kriegsschiff von Amroth. Mit all seiner Kraft hat er sich darum bemüht, der Rechtsprechung des Königs nicht lebend übergeben zu werden, aber seine Mühen schlugen fehl. Seine Feinde haben ihm Drogen gegeben. Nun ist er bewußtlos. Sie wollen ihn so lange zur Untätigkeit zwingen, bis das Schiff ihn in Port Royal ausliefern kann.«
Die Züge des alten Magiers verhärteten sich, bis sie an eine verwitterte Schnitzerei erinnerten. Jenseits seiner leeren, stumpfen Augen kreisten seine Erinnerungen um einen schwarzhaarigen Knaben, der soeben seine erste Lektion in der Kunst der Illusionsmagie erlernt hatte.
»Das funktioniert wie Musik!« Begeistert von dem Wunder seiner Entdeckung hatte das Vertrauen und die Freude seines Enkelsohnes ihn in einem winzigen Augenblick über den allzu frühen Tod seiner Tochter hinweggetröstet.
Der Magier klammerte sich an den groben Stein des Simses. »Arithon ist der begabteste Schüler, den ich je unterrichtet habe.« Der Lauscher legte dem alten Mann sanft die Hand auf die Schulter, doch der Magier schüttelte sie wütend ab. »Wißt ihr eigentlich, worauf dieser Junge verzichtet hat, als er das Erbe seines Vaters akzeptiert hat?«
Der Magier sprach zum Fenster hinaus, als könnten ihm die Brecher, die in der Tiefe gegen die Felsen krachten, eine Antwort geben. In derbem Ton fuhr er fort: »Wenn Arithon etwas geschieht, dann wird sich Amroths König noch wünschen, er könnte das Rad des Schicksals zurückdrehen und vergangene Taten ungeschehen machen. Jede Grausamkeit werde ich ihm in gleicher Münze zurückzahlen, am Geist und am Körper seines erstgeborenen Sohnes.«
»Der ebenso dein Enkelsohn ist«, rief der Lauscher aus, wild darauf bedacht, den
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