Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
erging sich Dakar in unerwünschter Kritik.
Peinlich berührt angesichts seiner Ungeschicklichkeit, nachdem er sein ganzes Leben lang von Frauen und ihrer Stickarbeit umgeben gewesen war, entgegnete Lysaer lachend: »Wenn sie die Kälte abhalten, soll es mir egal sein.«
Dakar rührte in seinem Topf und leckte den Löffel ab. Weiter rührend erklärte er: »Ihr solltet die Stiche nicht so fest machen, sonst weiß jeder, daß Ihr verärgert seid.«
Da ihm selbst keine feinsinnige Entgegnung in den Sinn kam, war Lysaer erfreut, als sich Arithon aus dem Schatten der Höhle löste und sich an dem Streit beteiligte.
»Spottet nicht«, befahl der Herr der Schatten dem Wahnsinnigen Propheten. »Prinzen entscheiden sich nicht freiwillig dafür, ihre Kleider so lange zu tragen, bis sie ihnen in Fetzen am Leibe hängen.«
Dakar, der in seiner abgetragenen, wettergebleichten Kleidung ein gutes Angriffsziel bot, beschränkte sich auf einen finsteren Blick, während Arithon zu seinem Halbbruder sagte: »Wenn es dir nichts ausmacht, etwas zu tragen, das wie ein geflicktes Segeltuch aussieht, dann kenne ich einen besseren Weg, das zu reparieren.«
Erfüllt von einem Gefühl herzerwärmender Dankbarkeit gab Lysaer Nadel und Hemd an seinen Bruder weiter. »Diese Kleider hätten auch bevor sie zerfetzt waren kaum jemanden beeindrucken können.« Dann wandte er sich an Dakar. »Der s’Ffalenn-Bastard hat wieder einmal einen Dummkopf aus Euch gemacht. Im Althainturm habt Ihr noch einen vernichtenden Wutausbruch vorausgesagt. Nun aber weiß ich nicht, wer von euch unredlich ist: Arithon, wegen einer Tat, die einen Heiligen beschämen könnte, oder Ihr um Eurer verlogenen Ablenkungsmanöver Willen, die nur dazu dienten, der Rüge für Euer ungehobeltes Verhalten zu entgehen.«
Dakars Frohsinn versiegte. Ehe er zugegeben hätte, daß er selbst verblüfft über Arithons verändertes Verhalten war, hockte er sich lieber wie eine verärgerte, brütende Henne neben seinen Topf. »Wartet nur«, murmelte er mürrisch an den blonden, lächelnden Prinzen gewandt. »Wartet nur, bis wir Ithamon erreicht haben.«
Nach einer fünftägigen Reise durch die Berge von Daon Ramon verlor das Gebirge seinen felsigen Charakter. Heide wuchs auf den Hängen, und die Schluchten, die bis dahin von ausgetrockneten Senken und verkrüppelten Eichen durchzogen gewesen waren, nahmen die Form sanfter Täler an, die halb unter dem Nebel verborgen lagen. Mochte der Anblick auch einst wunderschön gewesen sein, so wirkte nun unter Desh-Thieres Einfluß alles nur kahl und öde. Die Winde, die sich niemals legten, führten den Hauch winterlichen Frostes mit sich. Wegstunde um Wegstunde verging, ohne daß sie außer den grauen Rehen, den Hasen in ihrem weißen Winterfell und den einsamen Falken, die auf der Suche nach Beute schattengleich durch den Nebel flogen und dissonante Rufe ausstießen, auch nur ein lebendes Wesen zu Gesicht bekamen.
Die Pferde, die sich mehr von dem mitgebrachten Korn als vom braunen Gras dieser Gegend nährten, magerten mehr und mehr ab. Lysaer war des Wildbrets überdrüssig, doch das ließ er seinen Halbbruder, der ebenso viel Zeit mit der Jagd wie mit seiner Lyranthe zubrachte, nicht wissen. Dakar, der wie üblich unter der Abstinenz litt, nutzte jede Gelegenheit, den Mangel an Bier zu beklagen.
Asandir war mit sich selbst beschäftigt und so abweisend wie ein kahler Felsen im Wind.
Je weiter sich die Männer dem Kernland von Daon Ramon näherten, desto seltener machte sich der Zauberer die Mühe, seinen Lehrling wegen seines Gejammers zu rügen. Lysaer, dem bewußt war, daß eine solche Stille unheilverkündend war, bemerkte es sofort, als der Wahnsinnige Prophet zu Klagen aufhörte. Nunmehr feinfühliger in bezug auf derartige Nuancen, achtete er darauf, ob der Herr der Schatten Anzeichen für Besorgnis zeigte.
Doch nur der Schneefall setzte ein, und die Tage vergingen ohne besondere Vorkommnisse. Arithon enttäuschte auch Dakars Erwartungen, und seine Stimmung wurde immer trübsinniger. Er stellte Asandir Fragen und brachte Stunden damit zu, die eisverkrusteten Bäume, die verkrüppelten Sträucher und die schneebedeckten Wipfel zu betrachten, als würde ihm sein magisch geschulter Blick wahre Wunder enthüllen.
»Die Riathan Paravianer«, beantwortete Dakar Lysaers verwirrte Fragen kaum vernehmbar. »In diesen Bergen haben die Einhörner gelebt und ihre Jungen aufgezogen. Das Mysterium ihres Daseins ist bis heute noch in
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