Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
über seine Wangen. »Gesegneter Ath«, brachte er schließlich mit vor Ehrfurcht bebender Stimme hervor. »Das hätte ich mir nie vorstellen können, obwohl mich die Schönheit des Schwertes hätte warnen sollen.«
Asandir betrachtete schweigend den lyrischen Reigen der Geistgestalten. Ihr Bild hatte die Macht, den Zuschauer einzufangen, ohne Zweifel; doch diese schönen Bilder brachten Sehnsucht mit sich, ein Verlangen von der Intensität eines Deliriums. Diese Illusionen waren nur ärmliche, kümmerliche Schatten, kaum mehr als leuchtende Silhouetten auf der Netzhaut des Betrachters, die von Wesen hinterlassen wurden, deren Sein die Grenzen der Sterblichkeit sprengte. Die Realität aber konnte Perlen zu Sand verblassen lassen. Jeder, der auch nur einmal die Weisheit in den klaren Augen eines Einhorns entdeckt hat, wer nur einmal den Strom unbefleckten Frohsinns erfahren hat, der ihre Anwesenheit stets begleitet, für den sind die Geister, die sich hier aus den Spuren ihrer Resonanz zeigen, nurmehr Ausdruck einer erbärmlichen Leere. Auch Asandir weinte, doch er trauerte um einen Verlust, der mit Worten nicht zu beschreiben war, und um eine Zukunft, die nun ihren Anfang nahm und nicht aufgehalten werden durfte.
Zutiefst gerührt von seinem Bedauern und seinem Mitgefühl, bückte sich Asandir, um Arithon in einer Weise zu umarmen, wie ein Vater sein Kind umarmen mochte, nachdem es gerade seine Mutter verloren hatte. »Ihr könnt die Vision beenden, wenn Ihr Eure innere Wahrnehmung gegen sie verschließt.«
Arithon wehrte die Arme des Zauberers ab. Verwirrung und Freude spiegelten sich in seinem Gesicht. »Warum um alles in der Welt sollte ich das wollen?«
Asandir löste sich von Arithon, als hätte er sich verbrannt. Sein Hals war zugeschnürt, er vermochte nicht zu atmen, noch weniger zu sprechen, und so wirbelte er herum und ging davon. Allmächtiger Ath, diese Ironie schmerzt unendlich, und sie trifft direkt ins Herz. Denn schon bald würde Arithon sich wünschen, er hätte niemals über die magische Wahrnehmung verfügt, hätte niemals die Resonanz der paravianischen Mysterien erfahren.
Die Geister, die Caith-al-Caen bevölkerten, waren nur ein fahles Glimmen, das sich in einem festlichen Tanz bewegte, der mit jedem der unzähligen Wechsel der Jahreszeiten von neuem begann und bezauberte. Hier hatten die paravianischen Sänger nur ihre Freude wiedergegeben. Die Vibrationen, die in den Ruinen des traditionellen Herrschaftssitzes derer zu s’Ffalenn vorherrschten, in Ithamon, dem Ort, an dem die Bruderschaft Desh-Thieres Macht über die Sonne zu brechen beabsichtigte, waren vollkommen anders.
Inmitten der Fundamente jener Gebäude, die im Zuge des Aufstandes zerstört worden waren, zwischen den Gebeinen nicht beigesetzter Toter, erhoben sich noch immer vier Türme, die einst die Paravianer selbst errichtet hatten, und ihre Wards waren noch immer in ihrer ursprünglichen Form und Wirkung erhalten. Der Kontrast zwischen der fortdauernden, unschuldigen Harmonie der Paravianer und den Nachwirkungen einer Magie, die durch den Fall des königlichen Turmes entfesselt worden war, dieser Kontrast war tausendmal erschreckender als die Heimsuchungen in Caith-al-Caen, und er war angefüllt mit dem Blut und den Tragödien entwurzelter Leben und Träume.
Arithon hätte sich all dem verschließen können, doch das hätte ihn seine musikalische Inspiration gekostet, und das nachsichtige Einfühlungsvermögen, das einem jeden s’Ffalenn zu eigen war, hätte eine solche selbstgewählte Blindheit nie zugelassen. Das war eine Ironie in der Ironie. Asandir war sich dessen bewußt, während er stolpernd davoneilte und sich die Kleider an den Dornensträuchern aufriß. Der König von Rathain würde durch eine falsche Schuld gefangen werden, und das lief allen Prinzipien zuwider, die sich die Bruderschaft auferlegt hatte, war doch ihr vorrangiges Anliegen Erleuchtung und Aufklärung. Dem Prinzen aber, der nun von den Geistern der Einhörner verzaubert wurde, fehlte es an Selbstgewißheit, die notwendig war, um der Vergangenheit Ithamons standzuhalten. Er war zu jung, zu stark und viel zu sehr eine Marionette seines Mitgefühls, um zu verstehen, daß Verantwortung stets eine selbstauferlegte Bürde war.
Davon, ihn in seinem Irrglauben zu bestärken, hing die Zukunft Atheras ab, und von der zarten Unschuld, die sich einem Fluch gleich mit genug Widerstandskraft vereinte, eine Flucht nicht zuzulassen.
Die Straße durch die
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