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Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten

Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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seinem Ärmel. »Mein sonst so machtvoller Lehrmeister tut sein Bestes, um nicht hemmungslos in Tränen auszubrechen.«
    »So, meint Ihr?« Der Wind trieb dichten Nebel über sie, der Männer, Pferde und Wagen konturlos wie Schatten erscheinen ließ. Lysaer zog die Augenbrauen hoch.
    »Nun«, erklärte der Wahnsinnige Prophet, »ich lebe nun schon seit Jahrhunderten mit Asandir, mein Freund. Ich weiß, daß dieser Ort ihn zutiefst berührt, und ich weiß noch etwas anderes: Er hatte gute Gründe hier Rast zu machen, denn er hat diesen Ort als Waffe benutzt, und wenn Ihr mir nicht glauben wollt, so seht Euch nur Euren Halbbruder an.« Der Prinz vergaß die erlittene Kränkung und tat, wie ihm geheißen.
    Noch immer totenbleich, die Augenbrauen zusammengezogen und die Stirn gerunzelt, war Arithon wieder in den Sattel gestiegen. Dort stemmte er sich wie ein Verwundeter gegen den Wind, und Tränen schimmerten silbrig auf seinem Antlitz.
    Verlegen, als hätte man ihn beim heimlichen Lauschen erwischt, wandte sich Lysaer wieder zu Dakar um. »Warum fühlt Ihr dann nichts? Warum fühle ich nichts?«
    Der Wahnsinnige Prophet strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine Nasenspitze war von der Kälte gerötet, und seine Augen waren erschreckend blutunterlaufen, und dennoch umgab ihn eine Aura hochtrabender Erhabenheit, als er sagte: »Wollt Ihr das denn?«
    Die Frage traf Lysaer hart. Solchermaßen gezwungen, seinen Blick in eine unheimliche Tiefe seines Selbsts zu lenken und sich wehrlos seinem eigenen Urteil zu stellen, erkannte Lysaer, daß die Verwirrung, die ihn seit dem Exil gefangenhielt, einen Kern abscheulicher Wahrheit zu verbergen suchte. Der Glanz edelmütiger Absichten verschleierte die Tatsachen nicht länger. Nun wurde ihm schmerzlich bewußt, daß die Entscheidung, die er in Traithes Beisein im Lagerraum des Althainturmes getroffen hatte, in seinem Stolz und seiner Hochmut wurzelte. Er hatte dem schwierigen Pfad des Lernens entsagt und sich statt dessen entschieden, die Mißstände eines Königreiches zu beseitigen, um selbst zu persönlichem Ruhm zu gelangen. Als hätte ihn ein widerlicher Geschmack heimgesucht, atmete er hastig ein. Er konnte nur hoffen, daß sich seine Abscheu vor sich selbst nicht auf seinem Gesicht widerspiegelte, denn Dakar betrachtete ihn mit sonderbarem Blick.
    »Fühlt Ihr tatsächlich nichts?« Mit einer überraschenden Heftigkeit schlug der Wahnsinnige Prophet das Haferstroh von seinen Kleidern. »Ich möchte darauf nicht wetten. Bestimmt bewegt Euch dieser Ort ebensosehr wie uns alle.«
    Lysaer sah sich unbewegt um. Während dieser von Geistern heimgesuchte Ort die anderen zu betrüben schien, verlangte sein tief verwurzelter Sinn für Fairneß Ehrlichkeit. »Mein Herz ist noch immer in Port Royal, das weiß ich nun. Es ist bei meiner Geliebten und meiner Familie, bei meinen Leuten. Das mag eine Schwäche sein, doch immerhin ist sie zutiefst menschlich. Die Probleme, die dieses Land beherrschen, sind nicht die meinen. Trotzdem werde ich mein Bestes tun, sie zu beseitigen.«
    Die Worte des Prinzen standen in so krassem Kontrast zu der Zukunft, die das Netz vorausgesagt hatte, daß Dakar verblüfft zurückschreckte. Um sich seine bösen Ahnungen nicht anmerken zu lassen, bückte er sich hinter den Kutschbock und begann, die Zügel zu entwirren. »Oh, gnädiger Ath, ich könnte wirklich einen Krug dunklen Bieres und ein warmes Feuer brauchen.«
    »Dann sind wir schon zwei, mein Freund.« Lysaer kletterte wieder in den Sattel seiner braunen Stute. Er wußte nicht, ob es die noch immer fühlbaren Spuren paravianischer Tragödien waren oder ob die triste Landschaft hinter dem Schmerz steckte, der sich in sein Fleisch bohrte, als würde die Kälte ihn bis ins Mark seiner Knochen treffen.
    Auf Asandirs Befehl hin setzten sich Wagen und Reiter unter dem kalten Sprühregen des Nachmittags wieder in Bewegung. Die Straße wand sich nun durch die Niederungen Daon Ramons hindurch wie ein ausgefranstes Stoffband. Hier und dort standen steinerne Wegweiser am Straßenrand, die über und über mit Moos bewachsen waren. Hier gab es keine Bäume, nur Farn und Gräser, die vom Wind und den frühen Stürmen auf den Boden gepreßt wurden. Schmutziges Eis lag auf den Vertiefungen in der Straße. Lysaer, der sich auf seinem Sattel zusammenkauerte, um sich vor dem Wind zu schützen, bereitete sich in Gedanken schon auf eine weitere schlaflose Nacht auf nassem Boden vor. Er bemerkte nicht, daß ihr

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