Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
Pflicht befreien und sich von jedem Herrschaftsanspruch lösen konnte, würde diese zweischneidige Bürde weiter an seiner Selbstkontrolle kratzen.
Auf keine Weise durfte er das Bild der Schwäche aufs Spiel setzen, das er mit so großer Sorgfalt unter den Clanangehörigen hervorgerufen hatte. Obwohl Halliron diese Täuschung bereits einmal durchbrochen hatte, war der Meisterbarde doch gewiß der letzte Mensch, den Rathains neuer Kronprinz ins Vertrauen ziehen mochte. Sein eigener, dringender Wunsch, die Flucht zu ergreifen, Kameradschaft und Erlösung durch musikalische Befriedigung zu finden, konnte ihn nur allzu leicht zu einem falschen Schritt verleiten.
Als er damit fertig war, die Pfeife vorzubereiten, erhob sich Arithon. Er lehnte sich mit dem Rücken an eine große, alte Eiche und atmete tief durch. Der frische Duft junger Pflanzen vermengte sich mit dem schärferen Aroma der immergrünen Gewächse. Er forderte den Frieden des Waldes auf, ihm Ruhe zu schenken. Vertieft in das Flüstern des Stromes über moosbedeckten Felsen und das Kreischen von Eichhörnchen in einem umgestürzten Baum, brachte er den Aufruhr der Selbstzweifel zum Schweigen und rief seine Magie zu Hilfe, einen Funken zu erzeugen.
Das Kraut im Pfeifenkopf fing Feuer. Silberblauer Rauch stieg von ihm auf und ringelte sich wie ein Gespenst im Wind auf. Erfaßt von einem Schauer des Begreifens, den der ätzende Geruch des Rauches mit sich brachte, sammelte Arithon seinen Willen. Er führte das Mundstück an seine Lippen und sog den giftigen Rauch tief in seine Lungen.
Schwindel legte sich über seine physische Wahrnehmung. Gut vorbereitet drückte er sich mit dem Rücken an den Baum und ließ das Holz für sein Gleichgewicht Sorge tragen. Der Schock, als das Kraut in seinen Nerven brannte, war weitaus schwerer zu überstehen. Er keuchte beinahe gequält über die erschütternde Öffnung seines innersten Geistes, als Bilder, Gerüche und Gefühle ihn in eine wild kreisende Spirale entführten.
Sofort war er dankbar, daß er so vorsichtig gewesen war, sich einen sicheren Halt zu verschaffen. Die Pflanzen, die Sethvir im Althainturm trocknete, waren erschreckend machtvoll und rein.
Das Plätschern des Stromes neben seinen Füßen entwickelte sich in seinem Gehör zu einer Lawine der Geräusche; der Schrei eines Eichelhähers, eine Tortur, die wie ein Peitschenschlag in seinen Ohren dröhnte. Bis an die Grenze der totalen Verwirrung erschüttert, spannte er seine rechte Hand an und trieb seine Fingernägel in die nur halbverheilten Brandwunden, damit sie einen Anker für seine auseinanderdriftende Konzentration bilden konnten. Kaum hatte er sichere Kontrolle erlangt, trieb er seinen Geist voran in die unzähligen, verzweigten Wege möglicher Geschehnisse.
Wirbelnde Vernichtung empfing ihn. Feuer und Rauch schluckten alles. Arithon schrie, erfüllt von quälendem Mitgefühl. Durch das wilde Durcheinander chaotischer Empfindungen tastete er sich vor und erkannte schließlich die Ursache für die Bilder: Lysaers Heer, das darauf wartete, bis die Wälder im Hochsommer trocken waren, ehe sie Feuer im Strakewald legten, das vom Wind vorangetrieben wurde und die Clans aus ihrer Deckung verjagte, damit sie eingekreist und abgeschlachtet werden konnten. Nun folgten weitere Bilder von niedergebrannten Bäumen und toten Menschen, schwarz von Asche und saugenden Aasfliegen. Clankinder marschierten gleich einem zerlumpten Sklavenzug einher, ehe sie, eines nach dem anderen, in einem öffentlichen Schauspiel den Tod fanden, welches den großen Platz von Etarra mit lasterhaften, brüllenden Schaulustigen füllte. Arithons Magen krampfte sich von dem Aroma der Erregung zusammen, das von den Henkern ausging und sich in krankhafter Ekstase an Strömen frisch vergossenen Blutes weidete.
Der Herr der Schatten unterdrückte sein Entsetzen und die physische Qual, und er zwang sich mit einer Mühe, wie er sie nie während seiner Ausbildung hatte aufbringen müssen, seine Abscheu in die kalte Distanziertheit zu verwandeln, die notwendig war, ihm die Kontrolle zu erhalten. Die scheußliche Szene verharrte, nur um sich sogleich wieder seinem Zugriff zu entziehen, als seine empfindlichen Sinne davonschwenkten, um einem anderen Bild zu folgen.
Er sah einen Berghang voller Leichen; Banner, gefallen und von Pferden zertrampelt; und dahinter eine Lichtung voller Städter, die doch ebenso zum Volk von Rathain gehörten, alle grausam enthauptet und mit Fleischerhaken an den
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