Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
zerbrechlicher Natur, und seine weitgefaßte Denkfähigkeit wird ihn innerlich verzehren und in den Wahnsinn treiben.«
»Ihr irrt Euch«, beharrte Elaira, während sie sich an die Flexibilität erinnerte, über die der lebende Mann verfügt hatte. »Ath ist mein Zeuge, die Schlüsse, die Ihr gezogen habt, sind falsch.«
»Die Zeit wird es zeigen.« Morriel winkte ihr zu gehen. »Dir ist gestattet zu ruhen. Die Witwe hat ein Bett und eine Waschschüssel für dich vorbereitet. Vergiß nicht, genug zu trinken, sonst wird das Tienellegift dir Schaden zufügen.«
Die standesgemäße Entgegnung wäre ihr beinahe in der Kehle steckengeblieben. »Wie Ihr wünscht.« Elaira mühte sich auf die Füße, brachte noch einen wenig graziösen Knicks zustande und quälte sich sodann aus dem Lagerhaus hinaus, bevor die Krämpfe, die ein Tienelleentzug verursachte, ihre Fassung in Stücke reißen konnten.
Draußen, im Schutze der Dunkelheit, als die feuchte Luft ihr schweißnasses Gesicht kühlte, lehnte sie sich an das modrige Fensterbrett eines Werkstattschuppens und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Elaira konnte sich nicht von der bohrenden Reue befreien, aus Loyalität gegenüber ihrem Orden einen Verrat von viel größerem Ausmaß begangen zu haben. Ihre wahre Absicht war fehlgeschlagen, als sie eines Mannes verborgene Persönlichkeit offenbart hatte, in der Hoffnung, seine versteckte Empfindsamkeit würde ihm den Schutz der Zuwendung des Korianizirkels erringen. Doch sie war nicht verstanden worden. Elaira litt unter der Erkenntnis, daß sie tatsächlich nichts anderes getan hatte, als einen Feind mit einer Waffe zu unterstützen.
Tagesanbruch
In der Dachstube einer Witwe erwacht die Erste des Ältestenkreises, Lirenda, erneut in ihrem vollends zerwühlten Bett; und der Traum, der ihren Schlaf stört, ist immer der gleiche von eines Mannes grünen Augen, die so von Barmherzigkeit durchdrungen sind, daß sie weinend und einsam in der Kälte vor Sonnenaufgang zurückbleibt …
Als der Nebel silbrig über dem Marschland zu beiden Seiten des Tal Quorin aufsteigt, nehmen die Clanmitglieder von Deshir ein schnelles Frühstück aus trockenen Proviantkeksen zu sich und ergreifen ihre Schaufeln und Äxte; und wenn sie auch kaum ein Wort darüber verlieren, daß ihr Kronprinz seit der Vereidigungszeremonie am vorangegangenen Nachmittag verschwunden war, hört Steivens Sohn Jieret doch genug, um sich neugierig nach Arithons Verbleib zu fragen …
In der kaminbeheizten Mansarde eines Gasthauses im nördlichen Königreich gibt sich ein Wagenzugführer einer Flasche Weingeist hin; zwischen Schlucken und Selbstanklagen kann er nicht begreifen, was in ihn gefahren ist, daß er das Juwel des Pferdediebes einem Graubart mit verträumten Augen in kastanienbrauner Robe gegeben hat, dem er in einer Gasse begegnet ist und der ihn einfach nur um diese Gabe gebeten hat, als wäre es völlig normal, einen Fremden um das Geschenk eines Smaragds von der Größe einer Eichel zu bitten …
6
OMEN
An einem Ort seiner Wahl, weit entfernt von den Aktivitäten des Clans, löste Arithon seine magisch geschulten Sinne von den Netzen unterschwelliger Energien, die den umgebenden Wald durchzogen. Sanft entwich die Wahrnehmung lebender Blätter und ungleichmäßigen Sonnenlichtes; die Wahrnehmung der Wurzeln, die nach der Vertreibung des Nebelgeistes in der warmen Erde zu neuem Leben erwachten; von Vögeln, die durch die Baumkronen sausten, auf der Suche nach kleinen Zweigen für ihre Nester. Umfassend hatte er den Puls des Landes berührt, doch sacht; nicht einmal die geheimnisvollen Nachtluchse, die mit ihren Jungen in ihren Höhlen schliefen, hatte er gestört. Schließlich öffnete Arithon unter dem Gesang der Drosseln im lichtdurchzogenen Dunst des Vormittags die Augen.
Seit der Vereidigung am Tag zuvor fern der anderen, verschränkte Rathains neuer Kronprinz die Finger und streckte seine verkrampften Schulter- und Rückenmuskeln. Sorge, die er keinem der anderen offenbart hätte, zeigte sich nun nur allzu deutlich auf seinem Gesicht.
Tiefe Trance hatte ihn für zwölf Stunden ununterbrochen gefangengenommen, ein Zeitraum, der notwendig gewesen war, um sicherzustellen, daß die kleine Schlucht am Rande des Flusses isoliert genug für die mühsame Suche war, die nun vor ihm lag. Jagdbares Wild in seiner Nähe blieb von Jägern unbehelligt, die Pfade, über die die Tiere wanderten, wurden nie von Clankindern aufgesucht, die
Weitere Kostenlose Bücher