Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
geleistet, das wußte er. Unter Umständen, die geradewegs in eine Niederlage führen mußten, war es ihm gelungen, eine alternative Vorgehensweise zu finden. Dennoch quälte Verbitterung sein Herz, empfand er doch noch immer furchtbares Versagen. Selbst unter Ausnutzung aller Möglichkeiten würde nicht mehr als ein knappes Drittel von Steivens Clan am Leben bleiben. Wie konnte ein Prinz, Magier oder was auch immer so viele Opfer dulden? Etarra würde große Verluste erleiden; und ein unglücklicher Zufall würde ausreichen, selbst diese geringe Chance zunichte zu machen.
Keine Magie vermochte dem Pech voll und ganz vorzubauen. Alle Garantien waren verfehlt, seit dem Tag, an dem die Garnison von Etarra ihren Marsch gen Norden aufgenommen hatte.
Arithon klopfte die Asche aus dem Pfeifenkopf. Der sanfteste Versuch, sich zu bewegen, jagte Schmerzen, bohrend wie ein Speer, durch seinen Schädel. Darauf bedacht, auf seinen gesunden Menschenverstand achtzugeben, machte er sich an eine kurze Bestandsaufnahme seines Zustandes.
Seine Kleider waren feucht vom Schweiß, während sein Körper vom Flüssigkeitsverlust ausgezehrt war. Da Tienellekraut tödlich wirken konnte, wenn seine Gifte nicht aus dem Körper ausgespült wurden, bückte er sich sofort zum Wasserlauf hinunter, um zu trinken.
Das Wasser rann durch seine Kehle und löste eine gewaltige Attacke der Übelkeit aus. Er preßte die Hände an die Lippen, erschüttert von dem Kampf, den er austragen mußte, das wertvolle Naß im Leib zu behalten. Von den grausamen und schweren Beobachtungen erschöpft, erkannte er, daß sein Urteilsvermögen getrübt gewesen war. Wäre er bei vollem Verstand gewesen, hätte er niemals in einer einzigen Sitzung derart viel Tienellekraut benutzt, um so weniger in solcher Abgeschiedenheit. Er brauchte einen Kräutertee, ein Bett und die Gesellschaft eines anderen Magiers, um die Pfade seines Denkens zu hüten, die nun verletzbar offengelegt waren. Da es ihm an derartigen Bequemlichkeiten jedoch mangelte, blieb ihm nichts anderes zu tun, als zu warten. Das Gift benötigte Zeit, seine Wirkungen zu verlieren. Erst wenn seine Sinne aus der Glut erweiterter Reichweite befreit waren, würde er imstande sein, die zurückbleibenden Wirkstoffe umzuwandeln, die sich nicht durch Wasser ausspülen ließen.
Bis dahin mußte er die Gesellschaft anderer Menschen meiden.
Die Abenddämmerung setzte ein. Vogelgesang verstummte, und die Zweige über seinem Kopf erinnerten an ein Netzwerk schwarzer Spitzen vor einem von fahl leuchtenden Sternen bedeckten Himmel. Versunken in sein persönliches Ringen gegen das Fieber der Nebenwirkungen, saß Arithon mit zurückgelegtem Kopf an einem starken Eichenstamm, der so freundlich war, seinem Körper Halt zu bieten. Die dunkle Tunika, die ihm die gnädige Frau Dania geliehen hatte, ließ seine Gestalt mit den Schatten verschmelzen, während Nachwirkungen der Droge ihn mit einer ungewollten Entdeckung konfrontierten: Die Kleidung an seinem Leib gehörte einst dem jüngeren Bruder der gnädigen Frau, der im Alter von fünfzehn Jahren bei einem Überfall verwundet worden war. Der Gnadenstoß von Caolles Hand hatte dem Knaben einen sauberen Tod gewährt. Arithon rieb sich die Augen und versuchte, sich der Gerüche einer Waldlichtung und des derben Aromas von Blut auf grünen Farnblättern zu erwehren. Zu müde, sich der lebhaften Sprünge wahren Sehens zu erwehren, die wie im Delirium durch sein Bewußtsein flackerten, trieb er seine Gedanken grob zur Ordnung, indem er langatmige, aufwendige Balladen rezitierte.
Während er sich in Dakars Lieblings-Trinklied vertiefte, das ebenso lang wie unanständig war und nur dann Spaß machen konnte, wenn sowohl Sänger als auch Zuhörer vollkommen betrunken waren, mußte er um den Text der ersten Strophen ringen. Mühsam arbeitete er sich voran, bis im Verlauf der fünften und sechsten Strophe sein Flüstern immer ungleichmäßiger wurde und schließlich ganz verstummte. Nun erst erkannte er, daß jemand seinen Rückzug störte.
Arithon fühlte, wie seine Ohren zu klingeln, seine Muskeln sich zu versteifen begannen unter dem wirbelnden Zerren eines anderen Geistes. Anders als die beinahe mystische Ruhe, die von Vögeln und wilden Tieren ausging, war dieses Sein unverkennbar menschlich. Seine Aufregung, seine Unsicherheiten und ziellosen, chaotischen Energiemuster zupften, brannten und prasselten durch die Kanäle seiner Selbst, die noch immer schutzlos durch das Kraut offen
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