Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
entrissenen Naturgewalten. Er fühlte, wie die Kälte seiner eigenen Beschwörung lebendiges Grün gefrieren ließ. Dazwischen hörte er Schreie, die menschlichen Ursprungs waren. Er stöhnte, weinte, plünderte Intuition und Wissen, um seinen Reserven gnadenlos die Kraft zu entringen, die er brauchte, um dem Schrecken entgegenzuwirken. Die Fäuste auf Jierets Rücken gepreßt, die Augen starr und die Sinne gefangen in stetem Wirbel, dehnte Arithon seine Schutzbarrieren.
Und wie er es schon einmal in Etarra getan hatte, umhüllte er nun den Strakewald mit Dunkelheit.
Er konnte nicht sehen, welchen Schabernack das Schicksal trieb; konnte nicht sehen, daß Lysaer, geschwächt von Blutverlust und Anstrengung, zusammengebrochen war und daß Pesquil und ein pflichtbewußter Leutnant sich soeben bemühten, ihn aus dem Gefahrengebiet zu zerren. Arithon konnte die Luft nicht atmen, nicht den Geruch von toter Erde und Feuer erfassen. Er konnte kaum mehr aufrecht stehen, so sehr erschöpften ihn die Anforderungen, die das Wirken der Schatten an ihn stellte.
Jieret sagte etwas. Unverstanden trieben die Worte durch sein Dasein. Dann griffen Hände nach Arithons Armen und Schultern, hoben ihn, stützten seine Beine, die sein Gewicht nicht länger zu tragen vermochten.
Eine Berührung, es mußte Jieret sein, schob seine Finger von dem Schwertknauf weg und hielt sie in ruhiger Wärme.
»Ath«, keuchte ein Kundschafter voller Schrecken. »Seid Ihr sicher, daß er nicht verletzt ist?«
»Laß ihn in Ruhe«, schnappte eine andere Stimme, möglicherweise Caolles. »Wenn er die Kontrolle über die Schatten verliert, dann wird jeder unserer Leute in diesen Wäldern dem Untergang geweiht sein.«
Arithon behielt die Kontrolle. Mit einer Entschlossenheit, die ihn auszehrte, klammerte er sich an sein Bewußtsein und seine Kunst. Verdrehte Eindrücke wirbelten durch seinen Geist, Bilder von umgekippten Bäumen und Wasserfällen, von verkohlten, gerösteten Leibern auf verbranntem Boden. Sie ließen ihn laut aufschreien.
Diese Visionen mußte ihm seine magische Wahrnehmung beschert haben; er betete darum, daß es so war. Als es ihm nicht gelang, zu unterscheiden, zwang er seine vernebelten Sinne, ihm zu beweisen, daß Dunkelheit, so undurchdringlich wie Filz, sternenlos, lichtlos den Strakewald mit ihrem Schutz bedeckte, der kein erneutes Ausbrechen des Feuers zulassen würde.
Unbestimmbare Zeit später atmete er zitternd ein. »Sind wir jetzt in Sicherheit?«
»Bald«, antwortete Jieret oder vielleicht auch Caolle. Ohne Widerhall erklang das Wort über dem Wehklagen von achttausend Toten.
Irgendwann danach entglitten auch die letzten Reste der Wahrnehmung Arithons Kontrolle. Die Dunkelheit, die herbeigerufenen Schatten drangen nur mehr verschwommen durch sein verwirrtes Bewußtsein, und dann wußte er gar nichts mehr.
Arithon erwachte auf dem Rücken liegend. Über ihm funkelten die Sterne wie Juwelen zwischen den Blättern einer Eiche. Ein leiser Aufschrei entrang sich seiner Kehle, als Alptraum und Verstand aufeinandertrafen und ihm im ersten Augenblick den Eindruck vermittelten, er sähe eine tote Landschaft aus Asche und Kohle vor sich.
Dann drang der süße Duft der Lebenssäfte und des Pinienharzes aus der Ferne an seine Sinne. Neben ihm sagte jemand sanft: »Strakewald ist noch immer grün. Eure Schatten haben ihn gerettet. Und es gibt Überlebende aus den Clans.«
Arithon hatte nicht die Kraft, seiner Verbitterung darüber Ausdruck zu verleihen, daß es nur wenige sein konnten, unter denen keine Frau und kein Kind war. Für lange Zeit konnte er nichts anderes tun, als die Augen schließen und in aller Stille bitterlich weinen.
Gnadenlos vertrieben die Tränen den Dunst aus seinem Geist. Verwundet und vollkommen unfähig, sich in die Losgelöstheit zu flüchten, sah er sich gezwungen, die ganze Wahrheit in Erfahrung zu bringen.
»Jieret?« fragte er zuerst, und das Wort war kaum mehr als ein heiseres Stöhnen.
»Neben Euch«, lautete die beruhigende Antwort. »Er schläft. Von ein paar angesengten Haaren abgesehen, ist ihm nichts passiert.«
Arithon seufzte leise. »Steiven ist gefallen. Wo?«
»Was macht das noch aus?« Die Stimme klang nun gereizt, und eine Bewegung in der Dunkelheit offenbarte ihm die Gestalt eines Clankundschafters, der mit überkreuzten Beinen nicht weit entfernt saß.
Stur und schweigend wartete Arithon.
»Na schön«, ließ der Kundschafter sich erweichen. »Caolle sagte, Ihr solltet
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