Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
oder seine Schatten, vermochte Caolle nicht zu unterscheiden.
Die Abenddämmerung brach über den Strakewald herein. Im klaren, silbrigen Licht unter den Bäumen, die sich wie Filzstreifen in einem Bett aus Kobalt vor dem Himmel abhoben, saß Arithon auf einem Buchenstamm. Er hatte die Knie angezogen und hielt sie mit seinen Armen umschlungen. Lose flatterten seine Stulpenbänder über seine Hände, als die Frösche im Morast zu ihrem ersten, ungleichmäßigen Chor ansetzten. Er genoß die Stille, als der Tag zu Ende ging und allmählich der Nacht Platz schaffte. Der erste Stern wurde am Himmel sichtbar, ein gleißender Stecknadelkopf zwischen Pinienzweigen; Arithon betrachtete seine einzigartige Schönheit ohne die magische Wahrnehmung, mit der er seine Geheimnisse hätte enthüllen können.
Es war noch genug Zeit, zu entscheiden, wohin er gehen sollte. Diesen Augenblick wollte er damit zubringen, seinen Gedanken nachzuhängen und dem süßen Gesang der Drosseln zu lauschen. Mit geschlossenen Augen gab er sich ganz dem steten Wispern der Piniennadeln in der sanften Brise hin.
Es gab niemanden, dem er hätte Rechenschaft ablegen müssen. Nichts belastete ihn, außer seinem flammenden Gewissen und einem Schwert, das er nur zu gern gegen die Lyranthe eingetauscht hätte, die er in Etarra hatte zurücklassen müssen, selbst wenn er sein Augenlicht dafür hätte geben müssen.
Völlig losgelöst und entspannt rechnete Arithon mit gar nichts, bis direkt hinter seiner Schulter ein Zweig geräuschvoll brach.
Er wirbelte herum, sprang auf, und stand sogleich von Angesicht zu Angesicht einer Gestalt gegenüber, deren Juwelen und goldene Ketten im schwindenden Tageslicht glitzerten.
Topasgeschmückt stand Halliron, der Meisterbarde, vor ihm, ein sicheres Zeichen dafür, daß er seinen Aufenthalt bei den Clans nun als beendet ansah. Die edlen Knöpfe, mit denen sein Mantel geschlossen war und die seine vornehm geschnittenen Ärmel hielten, glänzten selbst noch im schwachen abendlichen Licht.
Gelassen, die von Venen durchzogenen Hände über den Gurt seiner Lyranthe gefaltet, sagte der Meisterbarde: »Dies ist kein guter Zeitpunkt für die Einsamkeit, Euer Hoheit.«
Arithon brauste ärgerlich auf: »Noch weniger ist es ein guter Zeitpunkt für Gesellschaft, nachdem beinahe achttausend Menschen sinnlos ihr Leben verloren haben.« Da der Barde offenbar gedacht hatte, er würde grübeln, beschloß Arithon, diesen Eindruck zu verstärken, um den Musiker loszuwerden. »Ich habe nicht um Euer Mitgefühl gebeten. Überdies dachte ich, ich hätte mich Caolle gegenüber klar ausgedrückt.«
Hinter seinen weit auseinanderstehenden Vorderzähnen schnalzte Halliron mit der Zunge. »Kein Grund, aufbrausend zu werden.« Nicht geneigt, sich so kurz abspeisen zu lassen, setzte er sich auf den Stamm, den der Herr der Schatten gerade erst freigemacht hatte. Vor dem Hintergrund seines dunklen Wamses glänzte das fahlweiße Haar wie Waschseide auf seinen Schultern. »Ich dachte, es könnte nicht so falsch sein, Euch zu fragen, ob Ihr mich auf der Reise begleiten mögt. Fallowmere ist nicht besonders anziehend für mich. Außerdem bin ich schon viel zu lange im Norden geblieben.«
Solchermaßen zu einer beeindruckenderen Vorstellung gezwungen, schrak Arithon zurück. »O nein.« Seine Stimme klang, als hätte ihn jemand verwundet oder als würde er vor einer verborgenen Furcht zurückscheuen. »Ich werde niemandes Begleiter sein, nicht nach dem, was hier geschehen ist. Ihr solltet meine Beweggründe besser als alle anderen verstehen.«
»Ihr seid gewiß nicht der erste Prinz, der auch in Kriegszeiten an seinen Eid gebunden ist.« Goldketten bebten, als der Barde die Schultern zuckte. »Daelion weiß, daß Ihr auch nicht der letzte sein werdet. Und es wird Euch nicht gelingen, mich mit diesem Schauspiel des Selbstmitleides zu vertreiben, ganz gleich, wie sehr Ihr Euch auch bemüht.«
Arithon versteifte sich. »Ich denke, Ihr habt nun genug gesagt.« Die Worte waren als Warnung gedacht, Halliron ignorierte sie, indem er unbeeindruckt auf dem Stamm sitzenblieb. Die Drosseln im Wald waren inzwischen verstummt. Mehr Sterne strahlten nun zwischen den Zweigen auf die Erde, und die Frösche sangen ihr rauhes Lied. Das Gleichgewicht war fort; unbemerkt war das Zwielicht verloschen, und die nun eingetretene Dunkelheit verschluckte sogar das Funkeln des Topasschmucks.
Die zarte Hülle des Friedens, die sich so leicht über ihn gelegt hatte,
Weitere Kostenlose Bücher