Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
Harmonien einer Lyranthe, die gerade gestimmt wurde. Gleich einer persönlichen Signatur erklangen Hallirons bevorzugte Quinten, und das Geräusch ähnelte dem wohltönenden Klingeln herabfallender Münzen. Jede Note bohrte sich in Arithons Wahrnehmung, so klar unterscheidbar wie die Einstiche von Pfeilen. Wie zum Ausgleich für den Verlust seiner magischen Sinne, hatte sich seine Empfindlichkeit gegenüber Tönen enorm verstärkt. Nie zuvor war der Gesang der Vögel in solcher Klarheit an seine Ohren gedrungen, und nie hatte das Klirren von Spitzhacke und Spaten, mit deren Hilfe die Gräber geschlossen wurden, so schauerlich dissonant geklungen.
Noch immer kniend stieß Arithon Jierets Messer in den Schmutz und senkte den Kopf. So wie er in der vorangegangen Nacht seine Hände auf kaltes Fleisch gelegt hatte, berührte er nun alte Steine und besänftigte seine innere Wahrnehmung. Er selbst hatte das Ritual vollführt, das den aus dem Leben gerissenen Seelen dieser, seiner verlorenen Freunde Freiheit gegeben hatte. Ein wenig verbliebener Friede sollte noch von den Gebeinen, die nun von Erde umschlossen waren, ausgehen.
Nichts; er fühlte überhaupt nichts.
Arithon seufzte. Nur die Spannung in seinen Schultern deutete auf den Zwiespalt hin, der schmerzlich an ihm zerrte. Selbst die Steine des Grabmals waren stumm. Dort, wo jedes einzelne Sandkörnchen aus dem Flußtal in den Schwingungen der großen Energie erklingen sollte, die alles Sein umschloß, antworteten ihm diese Steine nur mit dem Kratzen rauher Kanten an der empfindlichen, seit Etarra kaum verheilten Brandwunde. Arithon blieb nur noch die Erinnerung, er berührte nichts mehr von der wahren Realität, wie sie sich allen Zauberern erschloß, sondern sah nur noch das beschränkte Spektrum des für das menschliche Auge sichtbaren Lichts. Die geisterhafte Resonanz, die das Leben der Paravianer in diesem Land zurückgelassen hatte, die Resonanz, die Asandir ihm in den Bergen von Caith-al-Caen erschlossen hatte, würde ihn nun nicht mehr erregen oder peinigen können. Wenn er es wollte, so könnte er jetzt durch die Ruinen von Ithamon schlendern, ohne von dem Spuk verfolgt zu sein.
Die Herrschaft über die Schatten war ihm geblieben; doch er verfügte nicht über das Wissen, ob die Zeit den Schaden an seinen anderen Gaben lindern würde.
»Sie fangen an.« Jieret berührte des Prinzen Handgelenk, um ihn aufzuwecken. Die Schatten hatten ihren Winkel verändert. Es war ein Zeitraum vergangen, den abzuschätzen Arithon schwerfiel. Inzwischen hatten die Überlebenden von Deshir ihre Werkzeuge niedergelegt und sich in einem Kreis aufgestellt, um ihre Toten auf ihre Art zu würdigen.
Arithon zog Jierets Messer aus der Erde und erhob sich. »Ich werde von hier aus zuhören.« Gerade wollte er dem Knaben das Messer zurückgeben, als er plötzlich zögerte. »Überläßt du mir das?« fragte er. »Es ist der Stahl, mit dem wir unseren Blutpakt besiegelt haben; ich würde es gerne behalten und benutzen. Damit du weißt, daß ich oft an dich denke.«
»Ihr werdet uns verlassen.« Es war eine Feststellung, und Jieret klang nicht einmal überrascht. Noch nicht ganz ein Mann und doch schon mehr als ein Knabe, verbot sein Stolz ihm zu fragen, warum. Mit einer Haltung, die schmerzliche Erinnerungen an Steiven weckte, sagte er: »Ihr vergeßt scheinbar, daß ich Euch diese Klinge bereits angeboten hatte.«
Arithon warf die Waffe in die Luft und verfolgte gebannt ihren Flug und das Aufblitzen der Verzierungen im Knauf, als sie schließlich wieder herabfiel und in seiner Handfläche landete. »Als ich mit den Tienellebeobachtungen fertig war, ich erinnere mich.«
»Es ist ein gutes Messer, um Flöten aus Weidenzweigen zu schnitzen. Ich werde es jetzt wohl nicht mehr brauchen.« Und er deutete auf seine Ersatzklinge, einen schmalen, gekrümmten Dolch, den er in einer Scheide am Leib trug. »Möge Ath mit Euch sein, mein Prinz.«
Arithon schob das Messer in die enge Verschnürung aus Leder, mit der seine Hemdsärmel verschlossen waren. Dann zog er Jieret zu sich heran, schloß ihn impulsiv in die Arme und schob ihn dann sogleich wieder von sich, um ihn zu seinen Leuten zu schicken.
Unter dem harten Licht der Sonne, das durch das Gitterwerk der Zweige herabfiel, deren Blätter verbrannt worden waren, hielten Deshirs Clankrieger, noch immer in ihre vom Krieg gezeichneten, zerfetzten Lederjoppen gehüllt, einander an den Händen. Der Kreis öffnete sich, um Jieret
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