Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
guten Gründe, die zu dieser Entscheidung geführt hatten, stellte Arithon mit Überraschung fest, daß es ihn schmerzte, sie zu verlieren. Seit Ithamon und Etarra hatte er nicht mehr erwartet, noch zu sentimentalen Gefühlen fähig zu sein.
Dem Zugpferd, das er gestohlen hatte, erging es noch schlimmer. Schlecht beschlagen und unsicher im Schritt stolperte und schwankte es, bis Arithon schließlich die Zügel locker ließ und dem Pferd gestattete, selbst seine Gangart zu wählen. Regen durchnäßte Pferd und Reiter bis auf die Haut. Nur dort, wo Mensch und Tier einander ständig berührten, gab es noch ein wenig Wärme.
Entgegen der vorherrschenden Meinung in Etarra hatte Arithon die Straße des Nordens nicht absichtlich ausgewählt, sondern war ihr nur deshalb gefolgt, weil er verfolgt wurde und weil im Süden nichts außer Ithamon war.
Drei Tage und zwei Nächte blinder Flucht hatten ihn so sehr erschöpft, daß er, als die Kundschafter, die Steiven ausgesandt hatte, ihm den Weg abzuschneiden, die Straße vor ihm blockierten, weder Kraft noch Lust verspürte, sein Pferd zu wenden oder auch nur den Versuch eines symbolischen Widerstandes zu unternehmen.
Sie eskortierten ihn zu einem Lager in einem Wäldchen zwischen den Bergen, durch das sich ein Fluß nordwärts zum Meer schlängelte. Die Morgendämmerung war angebrochen und der Sturm nur mehr ein Nieselregen. Im klaren Gesang der Vögel tropfte silbriges Wasser von Blättern und knospenden Zweigen herab. Von leisen Geräuschen wie dem Klirren von Gebißstangen und dem Schnauben der angebundenen Kundschafterpferde, wies kaum etwas auf eine menschliche Ansiedelung hin. Kein Rauch stieg von irgendwelchen Feuerstellen auf, und nirgends jaulte oder bellte ein Hund.
Bestärkt in seinem Mißtrauen gegenüber einem Lager auf feindlichem Grund, stieg Arithon ab. Die nassen Enden seines Mantels hinterließen Streifen in dem schaumigen Schweiß am Leib des Wallachs. Barbarenhände hielten ihn, als er zu schwanken begann. Das Zugpferd wurde fortgebracht, während eine Kundschafterin auf ein Lederzelt deutete, das nicht weit entfernt zwischen den Bäumen stand.
»Lord Steiven erwartet Euch, Euer Hoheit«, sagte sie.
Zu schwach, sich gegen die königliche Anrede zur Wehr zu setzen, folgte Arithon der angegebenen Richtung. Die Bewegung selbst erforderte schon all seine Konzentration. Seine Lippen brannten, und die vielen Stunden zu Pferd hatten seine Beine in eine schwammige Masse schmerzenden Muskelfleisches verwandelt. Er stolperte in das Wohnzelt hinein und brachte den Geruch von Gras und modriger, feuchter Wolle in die Atmosphäre der Wärme innerhalb der herbstlichen Farben der zart gemusterten Teppiche. Als der Stoff über dem Zelteingang hinter ihm zufiel, stand er blinzelnd da und war sich der versammelten Menschen, die ihn erwartungsvoll betrachteten, nur vage bewußt. Bewegung kam in die Anwesenden.
Erst spät erkannte er, daß sie sich nicht einfach nur an den niedrigen Tisch gesetzt hatten, der mit Schreibfedern, Zinnkrügen und arg mitgenommenen Pergamentrollen überhäuft war. Statt dessen knieten alle vier jenseits dieser Unordnung: ein junger Mann, eine Frau in mittleren Jahren und zwei Alte. Der fünfte im Bunde, ein wahrhaft imposanter Mann, der eine rotbraune Lederrüstung trug, sagte mit tiefer, befehlsgewohnter Stimme: »Ehre und Willkommen dem s’Ffalenn, Hoheit.«
Arithon zuckte zusammen. Als er mit der rechten Hand eine ablehnende Geste machte, spritzen Wassertropfen von der plattgedrückten Ärmelstulpe und der recht verschmutzten Spitze. Sein linker Arm hielt etwas Schweres, das sich in der zerrissenen und aufgeweichten Wolle seines Mantels verbarg, während auf seinem regennassen schwarzen Haarschopf der Reif von Rathain vergessen im harten Licht der Kerzen glänzte. Endlich sprach er in schleppendem Ton: »Ich erbitte Eure Gastfreundschaft als ein Bittsteller und ein Fremder. Niemand hier schuldet mir irgendeine Treue.«
Seine Augen gewöhnten sich an das Zwielicht, doch das Flackern der Kerzen nahm ihm die neugewonnene Sicht sogleich wieder. Der Sprecher erhob sich lächelnd, und in einem nervenzerreibenden Augenblick der Erkenntnis erblickte er die Aura des Mannes, wie es nur ein Zauberer konnte. Dieser Mann mit dem narbigen Gesicht hatte die Gabe des Zweiten Gesichts. Eine Vision hatte ihm diesen Augenblick offenbart, und in seinem Verhalten zeigte sich keinerlei Unsicherheit, als er sagte: »Ihr seid der Teir’s’Ffalenn, von
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