Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
Rathain zu bleiben, um die Handelsgilden und die zerstrittenen, unabhängigen Stadtregierungen zu einigen. Trotz der konfliktreichen Politik hatte er erstaunliche Erfolge verbuchen können. Jeden Sommer ritten größere Kopfjägerverbände hinaus, um Clanflüchtlinge auf der Suche nach dem Herrn der Schatten zu jagen und abzuschlachten.
Seit Jahrhunderten hatten Städter Clanblütige getötet, wann immer sie ihnen begegnet waren, doch die Gefahr war noch nie so groß gewesen. Die verführerische Begeisterung, die von dem Prinzen des Westens ausging, verlieh den Stadtregenten gewaltigen Auftrieb. Nun konnten sie sich problemlos in den Schatzkammern bedienen, um ihre Feinde, die schon jetzt tief im Verborgenen Zuflucht suchen mußten, systematisch auszurotten.
Maenalle war Lysaer s’Ilessid nur einmal begegnet, doch dieser kurze Zeitraum reichte ihr, Bedauern für diesen begabten Staatsmann zu empfinden, dessen diplomatisches Geschick durch den Fluch Desh-Thieres nun einer so falschen Nutzung anheimgefallen war. Während seines Besuches hatte er sogar die Sympathien der zurückhaltendsten Kundschafter gewonnen, die nun eher Sorge denn Zorn ob seiner verräterischen Allianz mit ihren Feinden empfanden. Was nun Arithon von Rathain anging, so war jener magisch geschult: geheimnisvoll, gescheit und weit zu einfallsreich, sich von Lysaer zugrunde richten zu lassen, ganz gleich, welche Maßnahmen dieser auch gegen ihn ergreifen mochte.
»Wo ist Euer Herrscher jetzt?« fragte Maenalle. »Weiß er, daß sein Widersacher versucht, daß Land seiner Ahnen in Tysan zu beanspruchen?«
Da sie die Augen abgewandt hatte, sah nur Tashan den kurzen, ärgerlichen Blickwechsel zwischen dem Herzog und seinem Kriegerhauptmann. Jieret bewies beachtenswerte Standhaftigkeit und Courage, als er sich zu einer direkten Antwort aufraffte. »Wir sind gekommen, Euch zu warnen. Von Arithons Plänen wissen wir nichts. Als er uns verlassen hat, hat er uns seine Beweggründe deutlich dargelegt. Er will nicht durch seine Anwesenheit ein Ziel für den magisch genährten Haß bilden, der ihn und Lysaer treibt, einander zu bekämpfen.«
Noch immer verdrossen über die nun schon fünf Jahre währende Unvereinbarkeit ihrer Ziele, verschränkte Caolle seine fleischigen Hände auf der Tischplatte. »Wir haben seit dem Beerdigungsritual für unsere Gefallenen nichts mehr von unserem Gebieter gehört oder gesehen. Und seine Hoheit selbst wird sich nicht bereiterklären, uns eine Nachricht zukommen zu lassen.«
Was die Härte hinter Jierets zielgerichteter Reife erklärte, wie Maenalle in stillem Schmerz erkannte. Ihm allein war die Aufgabe zugefallen, seine Leute vor den regelmäßigen Säuberungsaktionen durch Etarras Kopfjäger zu beschützen. Als Frau empfand sie großen Kummer, bedachte sie nur, daß auch ihr Enkelsohn in Gefahr war, eines Tages dieses Elend kosten zu müssen.
Wenn Lysaer den Titel zu Avenor gewinnen würde, so würde der Riß, geborenen aus Desh-Thieres Boshaftigkeit, der Rathain entzweit und alten Haß zu wildem Blutvergießen geführt hatte, unvermeidlich auch Tysan treffen.
»Unsere Clans werden sich auf das Schlimmste vorbereiten«, erklärte Maenalle bitter. Dann erhob sie sich, ließ den zerknitterten Brief fallen und gewährte dem gehetzten jungen Herzog jene Ehrerbietung, die sich für einen Gleichen ziemte; denn obwohl er das Privileg genossen hatte, einem rechtmäßig anerkannten Prinzen die Treue schwören zu dürfen, war er dennoch ebenso wie sie selbst der Caithdein eines Reiches ohne König. Von seinem Herrscher erhielt er keine Unterstützung; ganz allein hatte er das Risiko auf sich genommen, zusammen mit seinen letzten vierzehn Adelsherren die Küsten Rathains zu verlassen, um die Nachricht von Lysaers üblen Absichten nach Tysan zu bringen.
In diesem Moment fühlte Maenalle all ihre sechzig Lenze, fühlte sich müde und entmutigt, geschlagen mit mehr als genug der Sorgen. Und doch überlegte sie, was dieses junge, rotbärtige Bürschlein aufrecht gehalten hatte, verhindert hatte, daß er, angesichts der Trauer über den Tod seiner Familie zusammenbrach und sich dem Haß und rachegetriebenen Morden überantwortete.
»Ihr verübelt es Eurem Prinzen nicht, daß er gegangen ist«, hörte sie sich ebenso unerschrocken wie scheu sagen. Tashan wandte sich um und starrte sie an, wogegen Caolles Miene Ratlosigkeit ausdrückte.
Ihre Reaktionen blieben unbeachtet, als Jieret ihr ein erstes echtes Lächeln schenkte. »Ich
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