Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
sich erinnerte. Seine Miene verfinsterte sich angesichts dieser unerwünschten Assoziation. Noch genauer nahm er nun den Schüler Hallirons in Augenschein, der sich in dem Sonnenlicht ausstreckte, das durch das Fenster hereinfiel.
Seine Hände erwiesen sich beide als unversehrt.
Mühsam verkniff sich Dakar einen zornigen Ausbruch über sein eigenes mangelndes Selbstvertrauen. Die Paranoia machte einen Narren aus ihm. Der Herr der Schatten war auch ein Zauberer. Jeder, der ebenfalls in dieser Kunst geschult war, mußte seine Aura der Macht vor den düsteren Wänden dieses Raumes deutlich erkennen können. Inzwischen wieder nüchtern genug, zu nutzen, was Asandir ihn gelehrt hatte, blinzelte Dakar kurz und forschte dann tiefer, doch er konnte nichts außer der Lebenskraft erkennen, die von jedem normalen Menschen ausstrahlte, der bei guter Gesundheit war. Erleichtert wollte er sich zurücklehnen, als er innerlich fluchend erkannte, daß derartige Feinheiten sich wohl hinter Schatten verbergen mochten.
»Was ist los?« erkundigte sich Medlir mit fragendem Blick. »Ihr macht einen besorgten Eindruck. Seid Ihr sicher, daß Ihr nichts essen wollt?« Der Wahnsinnige Prophet betrachtete des Mannes treuherzige Miene, ehe er unwillkürlich die Hände hob und Macht herbeirief, bis die Ausläufer magischen Feuers für jeden Gelehrten dieser Kunst sichtbar von seinen Fingern ausströmten.
Graubraune Augen mit senfgelben Flecken blickten ihn weder verwundert noch neugierig an. Medlir zuckte angesichts Dakars Vorführung nicht einmal mit den Wimpern; die Pupillen des Bardenschülers, die in dem düsteren Raum geweitet waren, zogen sich nicht einmal um Haaresbreite zusammen.
»Vergebt mir«, sagte Medlir. »Ich habe nicht nachgedacht. Ihr müßt Euch noch immer recht schwach fühlen.« Er schob den Teller zur Seite, stützte die Ellbogen auf und zog die Haut von einer aufgesprungenen Schwiele, die Saiten und Bunde der Lyranthe zu beachtlicher Größe hatten wachsen lassen. »Heute werden wir vermutlich so oder so nicht mehr Weiterreisen. Halliron hat letzte Nacht kaum geschlafen. Es ist besser für ihn, wenn er sich bis morgen ausruhen kann, darum werde ich nachher im Gastraum spielen, um den Wirt zufriedenzustellen. Ihr könnt ein Bett und heiße Suppe bekommen.«
Nun grinste Dakar. »Eigentlich würde ich Euch jetzt lieber die Ballade von der Katze und dem Met spielen hören.«
»Welche Version?« Er griff über die Bank nach der Lyranthe und begann mit Begeisterung, die Verschnürung von der Hülle zu lösen. »Es gib eine, die auch kleine Kinder hören dürfen, eine andere, die man nirgends außer in einem Hurenhaus spielen dürfte und etwa ein halbes Dutzend Varianten zwischen diesen beiden.«
»Oh, versucht es mit der, die obszön ist«, entgegnete Dakar, das feiste Kinn auf seine Hände gestützt, während sich in seinen Wangen über dem wirren, roten Bart verräterische Grübchen reinster Niedertracht bildeten.
»Die mit den achtundachtzig Strophen und dem schauderhaften, ständig wiederkehrenden Refrain?« Medlir legte die Lyranthe in seinen Schoß und stimmte rasch die Saiten. Dakars Nicken nahm er wahr, als er gerade dabei war, ein E-Dur zu spielen, um seine Arbeit zu überprüfen. »Na schön«, sagte er mit einer Duldsamkeit, die Arithon s’Ffalenn nie besessen hatte, »wenn wir dann bei der vierzigsten Strophe angelangt sind, dann vergeßt bitte nicht, daß Ihr es so gewollt habt.«
Sorgen
Als sich herausstellte, daß Halliron sich erkältet hatte und zwei Tage lang nicht würde reisen können, akzeptierte Medlir die Verzögerung ohne Murren. Da er selbst keinen drängenden Grund hatte, Shand schnell zu erreichen, betrachtete er die notwendigen nächtlichen Auftritte als zusätzliche Gelegenheit, sich in seiner Kunst zu üben.
Verblüfft über den gutartigen Charakter des Mannes, der beide Vor- und Nachmittage damit zugebracht hatte, vor dem kritischen Ohr seines Meisters zu spielen, wärmte Dakar seine Füße am Herdfeuer und seinen Bauch mit unzähligen Krügen voll Bier. Er lauschte Medlirs Repertoire an Trinkliedern, stets bereit, auf ihn loszugehen, sollten sich die Weisen wiederholen. Als der Erfindungsgeist des Minnesängers sich als unerschöpflich erwies, gönnte er sich dann und wann ein kleines Nickerchen und entging so allen Träumen von rachsüchtigen Zauberern.
Die letzte Nacht in der Poststation wurde von dem rüpelhaften Verhalten einer durchreisenden Söldnertruppe gestört. Zehn
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