Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht
Schloß zog. Nervös wühlte sich der Lordkommandant durch die Kartenstapel, bis er schließlich die Weinkaraffe gefunden hatte. Rasch suchte er nun ein Tuch, um zwei Kelche zu reinigen. »Ath weiß, daß wir nicht auf sein Schiff verzichten können.«
»Nein, das können wir nicht«, sagte Lysaer, während er mit steinernem Blick zusah, wie sein engster Vertrauter ihm Wein kredenzte. »Aber dies ist nicht Avenor. Ich kann hier nicht auf königliche Rechte pochen.«
Mit trügerischer Ruhe gab der Prinz sich seinen Überlegungen zur Lösung verzwickter Probleme der Staatskunst hin, wobei er den warmen Wein in seinem Kelch kreisen ließ und sich mit den Fingern der linken Hand durch das Haar strich. Das schwächer werdende Tageslicht, welches durch das Fenster in den Raum drang, spiegelte sich in den Ringen, die zwischen seinen blonden Haarsträhnen aufblitzten. Seine Augen sahen furchtbar müde aus und wollten so gar nicht zu seiner stolzen Haltung passen, während er sich mit allerlei üblen Gedanken und Gewissenserwägungen herumschlug.
In dieser Stunde beleuchtete der flackernde Kerzenschein nicht das Antlitz eines Prinzen, sondern das eines Mannes, vom Schicksal gestraft und durch einen grausamen Schlag gegen seine Würde entehrt.
Dieser Anblick unterbrach des Lordkommandanten aufgeregte Tirade.
Gleichermaßen geehrt wie gedemütigt, erkannte Diegan, daß der Prinz seine majestätische Fassade nun ablegte, mit der er sich der Öffentlichkeit gestellt hatte, um ihm vertrauensvoll wie einem Freund zu begegnen. Er fühlte, wie sein Herz bei diesem Anblick einen Sprung tat.
Gepeinigt von jedem gedankenlosen Augenblick der vergangenen Monate, in dem er sich gewünscht hatte, die königliche Selbstüberschätzung würde einfach zerstört werden, fühlte er sich nun zutiefst beschämt.
Im Angesicht der niederschmetternden Niederlage zu Werende wurde ihm endlich bewußt, daß diese Menschlichkeit sich stets unter der Oberfläche verborgen gehalten hatte. Jenseits des hochherrschaftlichen Regenten, der strahlenden Haltung und dem unerschütterlichen, begnadeten Selbstvertrauen, war Lysaer doch ein Mensch mit allen Schwächen und Makeln wie jeder andere auch. Beschämt erkannte der Lordkommandant, welches Opfer Lysaer dargebracht hatte, seinen Männern als leuchtendes Beispiel zu dienen.
Mit erstickter, sanfter Stimme sagte Diegan zu seinem Herrscher: »Wir wissen beide, daß der Herr der Schatten nur allzu geschickt mit den Mitteln der Manipulation umzugehen versteht.«
Lysaer sagte nichts, stürzte nur den Wein bis zur Neige hinunter. »Die Heimtücke der s’Ffalenns trieb meinen eigenen Vater in gramgeborene Wahnsinnstaten. Ich wäre dumm, würde ich angesichts meiner Erfahrungen erwarten, er würde das gleiche nicht auch mit mir versuchen. Meine Gabe des Lichts bietet mir Macht, doch keine Weisheit. Ich bin kein besserer Mann, bin nicht weniger zerbrechlich, als es mein Vater war. Aber wenn ich den Opfern des Herrn der Schatten zu ihrem Recht verhelfen und dieses Land vor ihm beschützen will, so muß ich einen Weg finden, standhaft zu bleiben. Es muß mir gelingen, mich zu zügeln und verantwortungsvoller zu handeln.«
Stumm füllte Diegan den Kelch seines Prinzen nach. Heftig umklammerten seine Hände die Karaffe. Ihm war, als wäre er selbst der Folterknecht einer ganzen Welt, ein Thema anzuschneiden, das eine letzte und gefährliche offene Frage beinhaltete. »Mein Prinz, du hast ein großes Herz und verfügst über eine Moral, die es diesem s’Ffalenn-Zauberer allzu leicht macht, dich zu quälen. Durch sein Wirken bist du nun von Mitgefühl und Bedauern zerrissen, genau wie er es gewollt hat, aber ich weigere mich, zuzulassen, daß dein Kummer dir deine Kraft raubt. Du bist unsere Stärke und unser Antrieb. Wenn sogar du dich anfällig für die zerstörerischen Umtriebe des Herrn der Schatten zeigst, wie soll es dann erst den Menschen draußen auf der Straße ergehen? Ich bin Etarraner genug, dich zu warnen, und ich fürchte mich vor dem, was der Kapitän der Savrid unternehmen mag, das sichere Netz deiner getreuen Gefolgsleute zu schädigen.«
»Laß den Mann gehen.« Seufzend schüttelte Lysaer sein güldenes Haar. »Seine Kollegen, die ihre Schiffe verloren haben, werden ihm für den Bruch in seiner Loyalität sicher keinen Beifall spenden.« Gleichsam weit entfernt vor Erschöpfung, gepeinigt von einer unterschwelligen Melancholie, zwang sich Lysaer mit Gewalt, fortzufahren. »Warst du im Lazarett,
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